Zum 35. Jahrestag der DDR: Schriftsteller
porträtieren Zeitgenossen
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Rosemarie Seibert, Oberbürgermeisterin
von Erfurt |
Fotos: ND/Rother
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Erfurt, Rathaus:
eine Frau im Amt
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Es ist jetzt runde dreißig
Jahre her, daß wir uns kenen. Wir rufen uns das nicht
besonders in Erinnerung, wohl weil es so alltäglich
war, was uns seinerzeit erstmals zusammenbrachte: Wir arbeiteten
beide im Jugendverband. Rosi Seibert, die zu jener Zeit
noch ihren Mädchennamen führte, war gerade 1.
Sekretär der FDJ in Weimar geworden, und ich, dessen
erster Roman gedruckt wurde, tat als Leiter eines Jugendklubhauses
gesellschaftlich nütziche Arbeit, für einen jungen
Schriftsteller übrigens die beste Möglichkeit,
seinen Lebensunteralt neben der geliebten, aber eben noch
in den Anfängen beindlichen Schreiberei selbst zu bestreiten.
Warum ich heute auf Rosi Seibert zu sprechen komme: Sie
ist eine Frau, die von jung auf immer sich selbst zu hundert
Proent dafür einsetzte, unserem Land zu dienen. Das
macht sie für mich interessant, zumal sie nun, nach
langen Jahren politischer Praxis, ein öffentliches
Amt in einer Kommune bekleidet, die Geschicke einer Großstadt
lenkt, als Oberbürgermeister.
Die Freude, geistig gefordert
zu werden
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Sie scheint mit Energie geradezu
aufgeladen zu sein, diese Rosemarie Seibert, die ihr seit
achtzehn Monaten neues Amt mit dem gleichen Engagement wie
frühere Funktionen ausübt. Als ich sie im Erfurter
Rathaus besuche, empfängt sie mich lachend, sie freut
sich, mich wieder einmal zu sehen, nimmt ein bißchen
zuückhaltend zur Kenntnis, daß ich über
sie schreiben will, dann fällt ihr ein, daß sie
sich noch kämmen wollte. Sie bändigt ihre in der
Ratssitzung etwas durcheinandereratene blonde Mähne,
sie weiß nicht, daß sie mich damit an den Dichter
Kuba erinnert, den ich als junger Reporter einmal in der
Maxhütte interviewte, und der sich auch zuvor kämmte.
Nur daß er sich dazu meinen Kamm lieh. Rosi hat einen
eigenen. Als wir sitzen, überlegt sie: „Wenn ich so
zurückdenke - wir haben eigentich ganz schön was
auf dem Buckel, an Jahren, und überhaupt...“ Sie vertieft
den Gedanken nicht. Zu ihrem Charakter paßt, daß
sie sich freut, erneut gefordert zu sein, daß man
ihr Verantwortung übertrug und sie Ideen entwickeln
muß, daß man ihr nicht Repräsentantengehabe
abverlangt, sondern die geistige Führung jenes Kollektivs,
das der Rat ist und von dem in hohem Maße abhängt,
ob die Bürger sich in den Mauern der Stadt wohl fühlen,
ob sie das Gefühl haben, eine bürgernahe Verwaltung
unternehme alles, um das Leben mit jedem Jahr lebenswerter,
reicher, ausgefüllter zu machen.
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Festzuhalten: Rosi Seibert redet
kein Wort über die Mann-Frau-Problematik, sie weiß,
daß es die Gesellschaftsordnung ist, die an erster
Steile über die mögliche Rolle der Frau im öffentlichen
Leben entscheidet, und die persönliche Initiative an
zweiter. Ich vermute, sie hatte kaum jemals Probleme mit
der Emanzipation, sie hat vom verbrieften Bürgerrecht
der Gleichheit der Frau in unserem Lande entschlossen Gebrauch
gemacht, sie erwartet, daß andere nicht weniger zaghaft
sind.
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Wie sie so geworden ist, frage
ich. Ihre Antwort: „Wir alle waren jung, wir hatten das
Glück, uns den Platz im Leben selbst suchen zu können,
weil die neue Gesellschaft das begünstigte. Ich habe
die Chance genutzt, so war das mit dem Werden.“
Daran gewöhnt, für
andere dazusein
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Ein Jahr nach der Befreiung vom
Faschismus begann für Rosi das Berufsleben. Nachdem
sie schon während ihrer Schulzeit Verantwortung für
drei jüngere Geschwister hatte mittragen müssen,
arbeitete sie nun in einer Fabrik, die vorerst in Privatbesitz
verblieb. Rosi Seibert wurde, nachdem sie der Antifa-Jugend
angehörte, Mitglied der 1946 gegründeten FDJ,
und sie übernahm die Funktion der Jugendsprecherin
im Kreisvorstand des FDGB. „Eine Menge Freunde bekamen
den Mund nicht auf, wenn sie sagen sollten, was sie bewegte
nun, ich bekam ihn auf. Deshalb!“
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Die Oberbürgermeisterin vor Ort im Rekonstruktionsgebiet
Große Arche mit Gerhard Schade (links), Werner
Bierschenk und Dieter Riethmüller
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Noch immer liebt sie es, die Dinge
möglichst einfach darzustellen. Ihr politisches Engagement
von damals wertet sie heute als Ergebnis verschiedener Faktoren.
Da war zunächst die aus der Kinderzeit hergebrachte
Gewohnheit, für ihre jüngeren Brüder dazusein,
da war das durch die Mutter, eine Metallarbeiterin, noch
während des zweiten Weltkrieges geförderte Verständris
für die Zeit, den Krieg, seine Ursachen, und da war,
nicht zuletzt, der anspornende Einfluß von älteren
Kommunisten und Sozialdemokraten im Betrieb auf das junge
Mädchen. Sie lernte in politischen Kategorien zu denken,
ein Weltbild reifte in ihr, sie trat für andere ein,
als es um die Grundrechte der jungen Generation ging, und
sie riß andere mit, weil es galt, das Modell eines
neuen deutschen Staates zu schaffen, der letztlich dem sozialistischen
Ideal entsprechen sollte. So wurde der Lebenslauf des jungen
Mädchens Rosi nicht zufällig zu einer sehr politischen
Angelegenheit. Es gab keine Selbstzerfleischung im Leben
der heutigen Oberbürgermeisterin, keine quälenden
Fragen, die sie insgeheim mit sich herumgeschleppt hätte
- das lag nicht in ihrem Temperament, nein, war ihr etwas
nicht klar, bat sie um Aufklärung, gefiel ihr etwas
nicht, so sagte sie es. Eine ihrer erkennbaren Stärken
bis heute: Sie braucht das Kollektiv um sich herum, und
zwar zu dem, was manche Leute gern Selbstverwirklichung
nennen - das nämlich gibt es für sie nur in der
Gemeinschaft und durch diese. (Eine Entdeckung, die ich
gern öfter machen würde, und bei jüngeren
Zeitgenossen.)
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Wollte man alle weiteren Stationen
im Leben der Oberbürgermeisterin aufzählen, so
brauchte man, obgleich es schon interessant wäre, eine
Menge Papier. Deshalb erwähne ich nur einige, die sie
besonders stark zu dem machten, was sie heute ist, nämlich
eine ebenso resolute wie nachdenkliche, stets die Übersicht
behaltende, impulsive und gleichzeitig mitfühlende,
eine unermüdliche, keinem Problem ausweichende und
kaum durch Schwierigkeiten zu entmutigende Frau. („Paß
auf, daß da kein Loblied draus wird!“ warnt sie an
dieser Stelle.)
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Es kam das III. Parlament der
Jugend, an dem Rosi Seibert teilnahm. Danach, weil ihre
Aktivität nicht unbemerkt blieb, machte der Verband
ihr den Vorschlag, sich hauptamtlich der politischen Jugendarbeit
zu widmen. Rosi sagte ja. Ihre erste Aufgabe nach viermonatiger
Schulung war für so manchen Tramper, Camper, Sanatoriumsgast
mag das wie „eine jener Geschichten aus der Gründerzeit“
klingen , vorbildlichen jungen Arbeitern als Anerkennung
für ihre Leistungen einen zweiwöchigen Erholungsurlaub
in einer der soeben eingerichteten Jugendherbergen zu organisieren.
Bei voller Verpflegung! Da es nicht ausbleiben wird, daß
sich mancher Leser hier Gedanken über Wandelbarkeit
und Wachstumstempo von Ansprüchen an das Leben macht,
will ich einflechten, daß Leute wie Rosi damals eine
eher lakonische Bezeichnung dafür gefunden hatten,
sie nannten das, was da getan wurde, „planmäßige
Verbesserung der Lebenshaltung“, ein Terminus, der in die
Geschichte der DDR eingegangen ist.
Glück als kollektives
Geschenk aufgefaßt
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Für Rosi Seibert folgten
acht Jahre hauptamtlicher Tätigkeit in der FDJ, bis
zur Leitungsarbeit im Bezirksverband Erfurt, in der Kreisleitung
Weimar, als 1. Sekretär. Das war harte Arbeit für
ein Mädchen in den Zwanzigern, denn dazwischen gab
es noch ein Jahr Jugendhochschuie, es gab die extern absolvierte
Qualifikation als Unterstufenlehrer, das Studium mit dem
Abschlußdiplom des Gesellschaftswissenschaftlers
ich habe Mädchen gekannt, die es sich einfacher machten,
deshalb meine Frage, was sie motivierte. Sie überlegt
nicht lange. „Es gab in diesen Jahren so viele junge Leute,
die gar nicht so recht wußten, wohin sie überhaupt
wollten. Sie mußte man doch mitnehmen...“
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Sie verstand sich nie, das wird
mir klar, als Betrachter, sie war immer Mitgestalter. Und
sie sagt selbst, daß sie Glück hatte. Worin das
bestand? „Ich hatte nie Kleinmütige an meiner Seite,
Verzagte. Es waren immer auch Leute, die von der Richtigkeit
ihres Handelns überzeugt waren, wie ich selbst.“
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Wie man sieht, kann die Vorstellung
von Glück sehr unterschiedlich sein. Für Rosi
Seibert jedenfalls war das nie eine subjektive Angelegenheit,
sondern eher ein kollektives Geschenk.
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„Träume?“ will ich von
ihr wissen. Man hat sie, in jungen Jahren. Manche erfüllen
sich, andere nicht. Die Rosi überlegt. Stimmt mir zu.
Manche, ja. „Ökonomie zu studieren, das hat mich immer
gereizt, auch Jura. Hat nicht geklappt. Der Wunsch, Lehrer
zu werden, war auch vorhanden, er ließ sich erfüllen.
1959 holte mich die Partei als Lehrer an die Bezirksparteischule.“
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Ich habe Mühe, nachzukommen.
Das menschliche Leben ist reich an Ereignissen, Stationen.
Natürlich, aus dem jungen Mädchen ist längst
eine Frau geworden. Mann und zwei Kinder sind da eine
Familie. Rosis politischer Weg hatte sie, was allzu logisch
war, längst in die Reihen der Partei geführt.
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Geholfen hat ihr bei ihrem rastlosen
politischen Engagement am meisten, daß ihr Ehepartner,
der heutige 1. Sekretär der SED-Kreisleitung Erfurt-Land,
von jung auf ebenso tief in der politischen Arbeit steckte
wie sie. Was Rosi Seibert mir zur Antwort gibt, als ich
sie danach befrage, wie sie es geschafft hat, trotz aller
beruflichen Belastungen zwei Kinder zu erziehen, die heute
verläßliche Sozialisten sind, das gibt zusätzlichen Stoff
zum Nachdenken: „Ich glaube, wenn die absolute Ehrlichkeit
des politischen Engagements der Eltern sich innerhalb der
Familie ungebrochen fortsetzt, kann sie ihre Vorbildwirkung
auf die Kinder kaum verfehlen, schon gar nicht, wenn dazu
noch geduldiges Eingehen auf die Jungen kommt, eine Großzügigkeit
auch, die es nicht nötig hat, das Prinzip in Frage zu stellen.“
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Zeit ist vergangen, nicht nur
im Leben der politisch erfahrenen Frau, auch in meinem Gespräch
mit ihr. Draußen tauchen die bunten Fassaden der Häuser
um den Fischmarkt unaufhaltsam ins Dunkel. Erfurt etwa
um die Mitte des 8. Jahrhunderts zum erstenmal urkundlich
erwähnt, gab es als Siedlungsgebiet, wie Ausgrabungen ergaben,
schon mehrere tausend Jahre vor unserer Zeitrechnung. Später
ein Marktflecken, am Kreuzungspunkt wichtiger Handelsstraßen
aufgeblüht, zur Stadt geworden, voller Tradition, Stätte
geschichtlicher Ereignisse, wie etwa des Parteitages im
Jahre 1891, der mit dem Beschluß „Erfurter Programm“ die
Durchsetzung der marxistischen Theorie als Leitfaden der
Arbeiterbewegung bewirkte. Doch die Stadt mit ihren heute
214 000 Einwohnern ist nicht nur geschichtsträchtig, sie
ist auch schön, sie hat Atmosphäre, sie zeigt
ihren Gartenbau ebensogern vor wie die hier produzierte
Mikroelektronik, die Büromaschinen, ihre Bürger
wandern durch einen Zoopark oder durch die Anlagen der Internationalen
Gartenbauausstellung , sie arbeiten an der Herstellung von
Pressen und Scheren, die in alle Welt gehen, oder am Bau
von Wohnungen, sie kaufen in den Läden um die moderne
Fußgängerzone am Anger ein, oder sie stöbern
in den Antiquitätenlädchen an der idyllischen,
nach dem Vorbild aus dem frühen 14. Jahrhundert liebevoll
rekonstruierten Krämerbrücke, einen Steinwurf
vom Rathaus entfernt, in das Rosemarie Seibert als Oberbürgermeister
einzog, im Oktober 1982, aus der Parteiarbeit in der Stadtleitung
der SED kommend.
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Ich will aus allem, was die Frau
Oberbürgermeister mir über die Pläne erzählt, die Erfurts
Bedeutung als politisches, ökonomisches und eines der geistig-kulturellen
Zentren des Bezirks weiter vertiefen sollen, möglichst viel
über ihre Persönlichkeit erfahren, weil ich glaube, daß
ein Kollektiv wie der Rat der Stadt sehr wesentlich motiviert
und in seinen Leistungen bestimmt wird durch den Leiter.
Der hat nicht nur den umfassendsten Überblick, sondern auch
die letzte Verantwortung für das Funktionieren, die Lebendigkeit,
den Einfallsreichtum und das Durchsetzungsvermögen des gesamten
Kollektivs. Sozialistische Kommunalpolitik ist nicht „res
obscura“, sie wird nicht insgeheim hinter verschlossenen
Türen gemacht. Sie ist vielmehr „res publica“, eine Sache,
die für die Öffentlichkeit durchschaubar, für jeden Bürger
in ihrem Konzept begreifbar und beeinflußbar gemacht werden
muß. Wo das nicht geschieht, hat der Bürger das Nachsehen,
und die kommunale Demokratie ist gestört.
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Das alles weiß Rosi Seibert,
denn sie postuliert: „Wir haben zuallererst dafür zu sorgen,
daß Erfurt seine politischen und wirtschaftlichen Planaufgaben
erfüllt und einen kontinuierlichen Leistungsanstieg schafft.
Aber dabei handelt es sich zusammen mit den sozialen Aufgaben
eben um einen Komplex. Das eine ist nicht vom anderen zu
trennen, eins ist abhängig vom anderen, eins bedingt
das andere. Und nichts ist ohne das Mitdenken und die Mitarbeit
aller Werktätigen zu realisieren.“ Sie fügt an,
es sei für sie von entscheidender Bedeutung, daß
der Erfurter Bürger, der fleißig und verantwortungsbewußt
für den Sozialismus arbeitet, sich nicht nur an seinem
jeweiligen Arbeitsplatz, sondern gerade auch in seinem privaten
Lebensbereich, seiner Wohnung, der Atmosphäre die ihn
umgibt, wohl fühlt, daß er aus diesem Gefühl
des Wohlbefindens Impulse für den neuen Arbeitstag
gewinnt. Damit ist die Vielschichtigkeit der kommunalpolitischen
Arbeit zumindest angedeutet.
Der Autor
Harry Thürk, Jahrgang 1927,
begann als Journalist und war mehrere Jahre als Berater
in der Volksrepublik China tätig. Ersten literarischen
Arbeiten wie „Die Herren des Salzes“ (1956)
über Menschen im Kalibergbau folgte der in mehrere
Sprachen übersetzte Roman „Die Stunde der
toten Augen“, in dem das ausweglose Schicksal
faschistischer Soldaten des zweiten Weltkrieges gestaltet
ist. Thürk wandte sich zunehmend aktuell-politischen,
militärischen und historischen Vorgängen
im fernöstlichen Raum zu, wohin ihn auch mehrere
Reisen führten. Zahlreiche Romane und literarisch
aufbereitete Dokumentationen behandeln neben dem Kampf
asiatischer Befreiungsbewegungen auch die USA-Aggression
in Vietnam („Der Tod und der Regen“).
Stark beachtet wurde sein Roman „Der Gaukler“
über die Praktiken imperialistischer Geheimdienste
beim Aufbau sogenannter „Dissidenten“.
Für den DEFA-Klassiker „For eyes only“
und den Spielfilm „Die gefrorenen Blitze“
schrieb Harry Thürk gemeinsam mit Janos Veiczi
das Drehbuch. Er machte sich darüber hinaus als
Autor von Fernsehfilmen und -serien einen Namen, in
denen spannungsvoll über die Arbeit unserer Sicherheitsorgane
berichtet wird. Harry Thürk erhielt zweimal den
Nationalpreis.
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„Mein Stammtisch: Treffs mit
Bürgern“
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Rosi Seibert gesteht mir: „Ich
habe bei Übernahme der Funktion noch nicht gewußt,
wie kompliziert manche Prozesse im Kommunalwesen sind. Aber
... wenn man mit der richtigen politischen Grundhaltung
an eine Sache herangeht, bekommt man sie auch in den Griff.“
Zur richtigen politischen Grundhaltung gehört für
die Erfurter Oberbürgermeisterin vor allem, daß
sie nicht selbstherrlich entscheidet, nicht nur auf den
Rat der Fachleute hört, sondern ihn regelrecht organisiert.
Sie sorgt dafür, daß ihr Kontakt zu Arbeitern,
Intellektuellen, Künstlern, zu den Bürgern der
Stadt nicht abreißt. Als Mitglied des Sekretariats
der SED-Stadtleitung Erfurt ist sie überdies stets
auf der Höhe der Erfordernisse des Tages. Ich erinnere
sie an die alte Einrichtung des Stammtisches, an dem in
der bürgerlichen Gesellschaft so oft die Stadtoberhäupter
mit den „Honoratioren“ zusammenzusitzen pflegten, mit
dem Anwalt, dem Apotheker, dem Fabrikanten und dem Herrn
Doktor. „Mein Stammtisch“, so sagt die Genossin Seibert
lakonisch dazu, „das sind die regelmäßigen Aussprachen
mit den Bürgern, die Beratungen über Schwerpunktfragen
und Perspektivprobleme, die Treffpunkte mit Schichtarbeitern,
ja auch die Auszeichnung verdienter Werktätiger durch
den Rat der Stadt gehört dazu.“
Vertrauensvolle Dienstagsdialoge
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Wenn in der 3-Raum-Wohnung der
Seiberts (Großeltern inzwischen!) am Gagarin-Ring
am Morgen der Wecker klingelt, ist es zwischen 5 Uhr und
5 Uhr 30 und da fängt der Tag an. Rosi Seibert liest,
bevor sie mit ihrem Mann zusammen frühstückt,
täglich etwa ein Dutzend persönlicher Briefe und
Eingaben, versieht sie mit Entscheidungsvermerken oder skizziert
die Antworten sie arbeitet gewissermaßen vor, um
gegen 7 Uhr, wenn sie das Rathaus betritt, noch eine halbe
Stunde Vorbereitungszeit für die laufende Tagesarbeit
zu behalten. Um 7 Uhr 30, wenn der Dienst im Rat der Stadt
beginnt, läuft nicht selten schon die erste Beratung
an. Grundsatzfragen und Probleme lassen sich, so meint die
Genossin Seibert, am besten morgens klären, wenn man
noch ganz frisch ist. Das muß durchaus nicht immer
im Rathaus stattfinden. Zum Arbeitsstil der Oberbürgermeisterin
gehört es, wie sie sagt: „... notwendige Entscheidungen
möglichst unmittelbar vor Ort zu treffen, auch die
Durchsetzung dort zu kontrollieren, und zwar nach gründlicher
Vorarbeit durch Fachorgane und unter Hinzuziehung von betroffenen
Arbeitskollegen, Leitern, Abgeordneten.“
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Das hört sich fast wie eine
Selbstverständlichkeit an, es ist aber bei weitem noch
keine, denn nicht überall wird so verfahren. Meine
Gesprächspartnerin würde von sich aus nicht auf
die Idee kommen zu sagen, ihr Arbeitsstil sei die Summe
von drei Jahrzehnten politischer Erfahrungen beim Aufbau
der DDR, aber das ist natürlich so. Man merkt das auch,
wenn die Oberbürgermeisterin etwa über den Dienstag
erzählt, den Sprechtag. Er ist keine ,Abfertigung von
Bittstellern, keineswegs, es handelt sich vielmehr
um vertrauensvolle Gespräche, die nicht selten eine
ganze Stunde dauern. Gewiß werden persönliche
Anliegen vorgebracht, teilt mir die Oberbürgermeisterin
mit, und die Skala der dabei zu behandelnden Probleme reicht
von Wohnungssorgen über Erziehungsfragen bis zur öffentlichen
Sicherheit und Ordnung oder der Stadtgestaltung, wobei ein
achtbarer Teil der Sprechstundenbesucher eben weniger mit
einem persönlichen Anliegen kommt, sondern mit einem
konkreten Vorschlag zur Verbesserung der kommunalen Demokratie.
Daß die Methode des regelmäßigen Dialogs
mit den Bürgern Erfolg bringt, beweist die Aufrechnung
von 1983, da wurden von etwa dreitausend Eingaben immerhin
66 Prozent mit den Betroffenen direkt geklärt.
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Doch diese Oberbürgermeisterin
beläßt es eben nicht dabei, im Rathaus zu sitzen
und darauf zu warten, daß jemand sie aufsucht. Rosi
Seiberts Stärke war das Sitzen ohnehin nie. Sie macht
regelmäßig ihre Arbeitsbesuche in Großbetrieben
oder an anderen Schwerpunkten, um dort herangereifte Probleme
an Ort und Stelle mit den unmittelbar betroffenen Werktätigen
zu beraten. Erzählt sie mir von einer solchen Aktion:
„Ein paar Tage ist es her. Es ging darum zu überlegen,
wie der bisher gute Ruf der Erfurter Verkehrsbetriebe weiter
auszubauen ist, indem Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit
und Fahrplantreue bei der Beförderung der Werktätigen
zur Arbeit und heimwärts, aber auch zu Freizeitzielen
erhöht werden. Das ist ein Stück Lebensqualität!
Und dazu gehört auch, daß die Arbeits- und Lebensbedingungen
der Mitarbeiter in den Verkehrsbetrieben selbst verbessert
werden.“ Als sie mir Einzelheiten der Arbeitsberatung schildert,
merke ich, daß sie den alten Spruch von dem, der klüger
aus dem Rathaus herauskommt, als er hineingegangen ist,
einfach umdreht: Jemand kann durchaus (um viele überlegenswerte
Anregungen) klüger sein, wenn er (nach einer Beratung
mit Werktätigen) ins Rathaus hineingeht: selbst der
Oberbürgermeister!
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Eine Frage habe ich mir bis zum
Schluß aufgehoben, die nach dem Gesicht der Stadt,
das sich in den vergangenen Jahren sehr zu seinem Vorteil
verändert hat, Farbe gewann. Doch es geht nicht in
erster Linie um schöne Fassaden, es geht um das Wohnen
der Bürger, um die unmittelbare Umgebung, in der sie
leben. Die Oberbürgermeisterin hat mir ihren Arbeitsalltag
geschildert, auf das Wohnen, das Bauen, das Aussehen der
Stadt kommen wir, als ich mich erkundige, was sie am Sonntag
tut. Da erzählt sie mir von Theater, Konzert, dem Zusammensein
mit Kindern, Enkeln, Freunden, auch vom Buch eines Erfurter
Autors, gelegentlich, weil sie die Künstler der Stadt
nicht aus den Augen verlieren will dies alles vergesse
ich, als sie beinahe am Rande bemerkt, sie spaziere oft
an Sonntagen mit ihrem Mann gemeinsam durch die Stadt, um
alles zu sehen, das Alte, das Neue, die Erfolge, aber auch
die Aufgaben, die es noch gibt. Selbststudium vor Ort: Obzwar
heute schon fast jeder zweite Erfurter in einer nach 1945
entstandenen Wohnung lebt, obzwar an den Stadträndern,
vor allem im Norden, eindrucksvolle neue Wohngebiete entstanden,
ist die Wohnungsfrage noch nicht restlos gelöst. Vor
allem aber stellen sich neue Fragen. Im Grunde geht es heute
um eine ökonomisch vernünftige und kommunalpolitisch
sinnvolle Balance zwischen großflächiger Neubebauung
und ebenso mühe- wie liebevoller Erhaltung oder Rekonstruktion
der Altbausubstanz im Stadtkern.
Hoch im Kurs: Leute mit Ideen
und Elan
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1976 wurde mit der Neugestaltung
des Angers die komplexe Innenstadtsanierung in Erfurt begonnen.
Ein Ende ist noch nicht abzusehen, obwohl es heute schon
so beachtliche Ergebnisse gibt wie die Rekonstruktion der
Krämerbrücke, des Fischmarktes und anderes: Da
warten mehr als 250 Altbauten darauf, zu Wohnhäusern
oder Läden zu werden, traditionsreiche Restaurants,
Kirchen, Universitätsgebäude wollen ebenso rekonstruiert
sein wie der berühmte Domplatz, die Leninstraße
oder das Stadtgebiet „Arche“, unweit des Rathauses, wo
sich das Auge des Touristen eines Tages wieder an den alten
Fachwerkbauten erfreuen soll aber auch der Bewohner an
seiner modernen Küche und Dusche. „Das gibt es zu
beachten“, meint die Genossin Seibert, „ein Problem hat
immer mehrere Seiten, es darf nicht in Husch-husch-Manier
angefaßt werden, damit löst man nichts, nein,
es müssen viele Fachkundige, Planer und Grübler,
Leute mit Ideen sich mühen, um es in seiner Komplexität
langfristig befriedigend zu packen!“
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Die resolute, gleichzeitig aber
recht bedächtige Frau schärft mir ein: „Wir haben
uns hohe Ziele gesteckt, und wir sind zuversichtlich, denn
wir haben erfahrene Fachleute, die hervorragend arbeiten,
bis hin zu den Neuerern bei den Sanierungsbrigaden. Aber
wir werden das alles in den nächsten Jahren nur dann
schaffen, wenn wir weiterhin konsequent die Wirtschafts-
und Sozialpolitik unserer Partei durchsetzen, und wenn wir
dabei nie aus dem Auge verlieren, daß Ideen und Einsatzbereitschaft
der Bürger das goldene Kapital einer Stadt sind.“
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