HARRY THÜRK
Fliederweg 4
Weimar/Thür.
den 11.11.52.
Lieber Genosse Bodo Uhse!
Eben erhielt ich Deinen Brief, und es gibt einen Grund, Dir gleich
zu antworten.
Doch zunächst zu den ungarischen Skizzen. Ich
freue mich, daß Du die beiden verwenden willst. Besonders danke
ich Dir für die Hinweise, die Du mir gegeben hast. Von Übelnehmen
kann keine Rede sein. Wenn man nämlich ein Manuskript nur mit
der üblichen Bitte zurückbekommt, es stilistisch zu überarbeiten
usw. usw., dann kann man sich dafür nichts kaufen. Wird man aber
auf Unebenheiten aufmerksam gemacht, weiß man, um was es sich
handelt und kann die betreffenden Stellen umarbeiten. Da ich sowieso
in manchen Dingen etwas flüchtig verfahre, ist es mir immer lieb,
wenn ich auf solche Sachen hingewiesen werde, und es ist mir auch
gar nicht unangenehm, wenn der Redakteur gewisse Korrekturen selbst
vornimmt.
Übrigens besteht linguistisch zwischen dem Begriff
»ein Kind haben« und »ein Kind bekommen« ein kleiner Unterschied.
Man kann sich endlos darüber streiten, denn »haben« kann wohl
auch der Mann das Kind; er kann es nur nicht »bekommen«. Aber
wie gesagt, man kann darüber streiten, bis der letzte Schnaps
ausgetrunken ist, und hat nichts dabei gewonnen. Dann bin ich
schon dafür, daß man auch den Anschein vermeidet, gegen die Naturgesetze
verstoßen zu wollen und so einen neunpfündigen Jungen durch ...
na ja, eine tolle Geschichte wäre das!
Und nun etwas anderes.
Du wirst gemerkt haben, daß diesem Brief etwas
beiliegt. Ich habe zwischen den Ungarn-Skizzen mal etwas pausiert
und dabei eine Konzeption für das geplante Bergmannsbuch entworfen.
Viel Geschick für solche Exposés habe ich noch nie gehabt,
aber ich glaube, Du wirst einen allgemeinen Überblick bekommen.
Vermutlich werde ich Anfang der nächsten Woche mal in Berlin sein,
und ich würde mich freuen, Dich anzutreffen. Dabei könnten wir
über diesen Plan sprechen. Es wird der Anlage nach keine Erzählung
von der Art werden, wie sie die beiden Bücher enthalten, die Du
mir geschickt hast, sondern ein nicht allzu dicker Roman. Übrigens
meinen herzlichen Dank für die Büchersendung. Beide Arbeiten sind
sehr interessant.
Falls also nichts mehr dazwischenkommt, kreuze
ich in der nächsten Woche in Berlin auf. Vorsichtshalber werde
ich Dir noch ein oder zwei Tage vorher telegrafieren, vielleicht
kannst Du es dann einrichten, daß ich Dich treffe. Sollte es nicht
möglich sein, kannst Du mir vielleicht mal Deinen Eindruck schreiben.
Ich möchte Anfang 1953 damit beginnen, das Buch niederzuschreiben,
denn der ganze Kopf steckt mir voll mit diesem Stoff, ich möchte
ihn loswerden. Nur weiß ich nicht, ob Dir aus diesem komischen
Exposé ersichtlich ist, worum es Dir geht. Deshalb hoffe
ich, daß wir noch darüber sprechen können, besonders weil ich
viel Interesse daran habe, das Buch mit einem Verlag zusammen
zu arbeiten, der sich für das Thema entscheidet, denn sonst kann
es mir passieren, daß ich nachher mit dem fertigen Manuskript
hausieren gehe und keiner es drucken kann, weil der Plan »verplant«
ist!
Genug der Scherze. Ich hoffe, daß wir uns
bald treffen werden.
Mit vielen herzlichen Grüßen
Dein
Harry Thürk
Anlage.
Übrigens hat sich meine Adresse verändert. Benutze bitte die neue.
Herrn
Harry Thürk
Fliederweg 4
Weimar / Thür.
Berlin, den 18.11.1952
Lieber Harry Thürk!
Herzlichen Dank für Deinen lustigen Brief vom 11. 11. und dann
vor allem natürlich für das Exposé. Du nennst es ein komisches
Exposé, es ist aber gar nicht so komisch! Ich muß sagen,
was Du Dir darin vorgenommen hast, ist allerhand. Offen gestanden
bin ich von der Fülle des Stoffes etwas überwältigt. Wenn Du das
alles, was Du darin vorhast, richtig hinkriegen willst, so brauchst
Du doch sicher mindestens 300 Seiten. Oder läßt sich diese so
umfassende Handlung kürzer zusammendrängen?
Und dann noch eine Frage, die mich sehr interessiert.
Woher hast Du diese genaue Kenntnis von einem Kalibergwerk? Man
hat den Eindruck, daß Du Dich lange in einer solchen Grube herumgetrieben
hast.
(Die vorstehenden Bemerkungen und Fragen sind falls ich mich nicht verständlich genug ausgedrückt habedurchaus
anerkennend gemeint.) Ich wäre also sehr daran interessiert zu
sehen, was aus Deinem Exposé wird, besser gesagt, nicht
passiv zuzusehen, sondern Dir dabei zu helfen. Eine längere Aussprache
über Dein Exposé müßte dabei eigentlich der Beginn sein,
ein Vertrag zwischen Dir und dem Aufbau-Verlag wäre, wenn wir
uns verständigen, der zweite Schritt.
Soweit ich Dein Exposé nach einer ersten
Durchsicht beurteilen kann, sei folgendes gesagt:
Die Handlung beginnt nach der Katastrophe in
der Grube. Das ist ein guter, wirklich spannender Anfang. Ich
könnte mir vorstellen, daß Du einen Querschnitt gibst, sozusagen
ein Echo des Grubenunglücks an den verschiedenen Winkeln all derer,
die mit der Grube zu tun haben. Dabei würden wir wohl dem leichtsinnigen
Ziller als einem der ersten begegnen und dann erst also recht
umgekehrt wie es in Deinem Exposé aussieht den alten
Sobek in seinen recht komplizierten ganz auf das Technische gerichteten
Problemen antreffen. Die Geschichte, so wie Du sie mir damals
abends erzähltest, geht in Deinem Exposé ein wenig unter,
und das ist im Grunde schade. Ich fand sie als Fabel bedeutungsvoll:
die Geschichte des Mannes, der weiß, wie man es besser macht und
dem andere vorführen müssen, was er selber weiß. Vielleicht läßt
sich diese Fabel stärker herausheben, wenn man ein wenig Rankenwerk
der Handlung, das sich in Dein Exposé eingeschlichen hat,
wieder wegschneidet. Dabei bin ich ganz offen gestanden gar nicht
so sehr für dieses Wegschneiden, es sei denn dort, wo Du Dich
allzusehr bemühst, sozusagen »alles drin zu haben«. Schau mal,
muß der Volkspolizist nun verwundet sein, oder kann er nicht aus
einem anderen Grunde im Krankenhaus liegen? Muß Ziller am Schluß
selber zur Grenzpolizei gehen? Gut, man kann das schreiben, man
kann das auch überzeugend und wirklich lebensnah schreiben. Aber
das ist ungeheuer schwer, und ich fürchte, es lenkt auch vom Problem
Deiner Erzählung ab. So solltest Du Dir das noch einmal überlegen!
Es gibt da Dinge in dieser Hinsicht in einem Exposé,
die nicht sitzen. Das betrifft zum Beispiel den Beginn der Liebesepisode
zwischen Ziller und Ursula Maltz. Weißt Du, was da wörtlich in
Deinem Exposé steht?
»Ziller wird auch durch die ernsten Gespräche
mit der jungen Frau moralisch weiter gefestigt.« So habe ich mir
immer gedacht, fängt eine Liebe an! Gewiß, gewiß, die Ursula Maltz
hat ihren Mann beim Grubenunglück verloren. Sie wird also ernst
gestimmt sein. Aber glaubst Du, daß ihre Beziehung zu Ziller,
auch wenn die Gespräche ernst sind zu Beginn, wirklich damit anfängt,
daß sie den jungen Mann moralisch festigt, oder glaubst Du nicht,
daß Du hier die Dinge ein wenig professoral darstellst? Was sich
abspielt zwischen Ziller und der jungen Witwe, das ist doch das,
daß sie nach dem Schmerz über den Verlust ihres Mannes sich in
der Begegnung mit Ziller wieder dem Leben zukehrt und daß Ziller,
dieses leichtsinnige Huhn, in dieser Begegnung mit ihr mit einem
Mal etwas an den Frauen entdeckt, was er bisher bei seinem vielen
Suchen nicht gekannt hat.
Gewiß kannst Du mir sagen, daß sei eben nur
so eine Formulierung für das Exposé. Schön und gut. Aber
laß uns diese Formulierung ändern und laß uns den Schluß bedenken
und den ein wenig allzu technischen Anfang, und dann und immer
wieder und vor allem die Notwendigkeit, Deine Fabel zum Mittelpunkt,
zum roten Faden der Handlung zu machen. Zum Schluß will ich Dir
noch gestehen, daß ich Dein Exposé gern, daß ich es mit
Interesse gelesen habe, daß ich mir viel davon verspreche, ja,
daß ich mich auf das Buch, das daraus wachsen soll, ehrlich freue.
Mit freundlichen Grüßen
Dein
Bodo Uhse
Herrn
Harry Thürk
Fliederweg 4
Weimar / Thür.
Berlin, den 1.1.1953
Lieber Harry Thürk!
Zunächst einmal alles Gute zum neuen Jahr, für das Du Dir ja allerhand
vorgenommen hast. Ich hoffe, daß es Dir gelingen wird, die große
Arbeit, die vor Dir steht, zu bewältigen und verspreche Dir, daß
ich alles tun werde, Dir dabei zu helfen, soweit es in meinen
Kräften steht. Du weißt, daß mein Interesse an Deinem Unternehmen
recht groß ist und daß ich mancherlei Erwartungen daran knüpfe.
Der Vertrag für Dich ist mir heute vorgelegt
worden und wird in den nächsten Tagen an Dich abgehen. Es tut
mir leid, daß sich die Sache so lange verzögert hat, darum bin
ich aber nicht schuld. Nun ein paar Worte zu Deinem Exposé.
Das heißt zunächst einmal einen Kommentar aus dem Munde eines
Schriftsteller-Kollegen, der Dir gewiß nicht unbekannt ist. Ich
lege Dir also einen Ausschnitt aus dem Neuen Deutschland bei,
mit ein paar Worten Ehrenburgs (die Dir allerdings schon vor einem
Jahr, als sie im Aufbau gedruckt wurden, hätten auffallen können)...
Nachdem Du also Ehrenburg gelesen hast, darf ich in
meiner Rede weiter fortfahren. Wieso haben eigentlich alle Leute
bei Dir zweisilbige Namen, schlimmer noch, die meisten haben keine
Vornamen, und es fehlt Ihnen damit einfach ein Stück Ihrer Persönlichkeit.
Ein Name ist bestimmt wichtig. Man hat mancherlei Mittel, eine
Gestalt zu charakterisieren, auch der Name ist ein solches Mittel,
das allerdings vorsichtig und mit Diskretion gehandhabt werden
muß. Also, versuche Dir darüber klarzuwerden und quäl Dich da
ein bißchen. Du brauchst ja nur eine Zeitschrift aufzuschlagen
oder ein Telefon-, Adreßbuch, und Du wirst große Entdeckungen
machen...
Dies war sozusagen die zweite Vorbemerkung.
Langsam komme ich zum eigentlichen.
Du schreibst einen Roman. Was ist ein Roman?
Er berichtet von Erlebnissen, Entwicklungen, Wandlungen der Menschen,
es gehört dazu, daß die entscheidenden Figuren, »die Helden« des
Romans, dem Leser so nahe gebracht werden, daß er meint, sie aus
dem Leben zu kennen. Das Leben eines Menschen besteht aus vielen
Teilen. Die Arbeit ist der wichtigste und entscheidendste Teil.
Erinnerst Du Dich, wie Gorki in »Meine Universitäten« über die
Arbeit, d. h. über arbeitende Menschen, schreibt? Der Vorgang
der Arbeit ist darin ganz klar geschildert, aber nicht einen Moment
tritt in dieser Schilderung der Mensch, der die Arbeit verrichtet,
hinter dem Arbeitsvorgang zurück.
In Deinem Exposé fehlt noch immer viel
an dem Menschen Sobek. Er lebt noch lange nicht. Ich weiß aus
dem neuen Exposé noch nicht einmal, ob er verheiratet ist
oder nicht, und wenn er verheiratet ist, hat er offenbar keine
Kinder oder hat er welche? Vieles in Deinem Exposé hat
noch keine Gestalt angenommen und entspricht dadurch dem Schema,
das Ehrenburg charakterisiert. Zweimal passiert es Dir, daß Sobek
sich in einer Diskussion überzeugen läßt. Einmal im Gespräch mit
Schäffer, als es darum geht, daß Sobek mit Haller zusammen arbeiten
soll; dann wieder im Gespräch mit Schäffer, als Sobek den jungen
Fahrmann in seine Brigade aufnehmen soll. Die Gestalt Fahrmanns
überhaupt kommt mir jetzt nahezu überflüssig vor. Sobeks Verhältnis
zu dem jungen Menschen, Sobeks Beziehung zu Liebig und seine Auseinandersetzung
mit ihm sind unklar. Das sitzt alles noch nicht. Wie gesagt, hier
fehlt das Menschliche. Sobek ist auch in diesem Exposé
nur der Träger einer Funktion, aber keine lebendige Gestalt. Du
muß wohl doch mehr Liebe an ihn wenden.
Nun habe ich nur Kritisches gesagt und bin noch
nicht einmal damit fertig. Mir ist aufgefallen, daß Du Dein Exposé
in der Gegenwartsform schreibst. Ich würde Dir sehr empfehlen,
das bei dem Buch nicht zu machen. Mit der Gegenwartsform kann
man leicht fälschen, es ist besser, in der Vergangenheit zu schreiben,
nur große Schriftsteller können sich die Gegenwartsform leisten.
Und dann noch eines: Für einen Schriftsteller gilt es, daß er
jede Zeile, die er schreibt, sei es nun ein Brief, eine Notiz
oder ein Exposé, klar schreibt, sauber, so gut wie er es
eben kann. Es gibt nichts, das unwichtig wäre.
Damit soll es aber für heute genug sein und
nun mach Dich dran. Wenn es Dir glückt, das erste Kapitel, das
Grubenunglück, mit all seinen Spannungen und Verwicklungen, mit
der Warnung Sobeks, mit dem tragischen Tod von Maltz so zu schildern,
daß wir es miterleben und daß wir dabei einen Kontakt und eine
Beziehung zu all den Menschen gewinnen, die in Deinem Buche Leben
bekommen sollen, dann hast Du wahrscheinlich das Schwerste geschafft
und der Rest des Buches wird sich nicht gerade von selber schreiben,
aber doch sehr viel leichter bewältigen lassen. Und nun Glück
auf!
Mit recht herzlichen Grüßen
Dein
Bodo Uhse
PS Die Auslagen für Deine Reise nach hier habe ich Dir angewiesen.
Ich hoffe, Du bekommst sie bald. Anbei das Manuskript von Boris
Palotai. Es ist für uns nicht brauchbar.
Anlagen
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