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Primärliteratur

   QUELLENTEXT
Titel HARRY THÜRK
Autor Harry Thürk / Bodo Uhse
Herausgeber Faber, Elmar und Carsten Wurm
Publikation ... und leiser Jubel zöge ein - Autoren- und Verlegerbriefe 1950-1959 (ISBN 3-7466-0108-8)
Verlag, Ort, Jahr AtV Dokument und Essay Band 100, Aufbau Taschenbuch Verlag, Berlin 1992
Seitenangabe S. 403-409, S. 491 (Kapitel "Bio-bibliographische Notizen"), S. 497 ("Anmerkungen")
   
Textart Briefe, Volltext
Anlass, Thema Briefe zwischen Autor Thürk und Verleger Uhse
Textstruktur 10 Punkt mit Serifen, Blocksatz mit Vorschub.
HARRY THÜRK


Fliederweg 4  
Weimar/Thür.

den 11.11.52.
Lieber Genosse Bodo Uhse!
Eben erhielt ich Deinen Brief, und es gibt einen Grund, Dir gleich zu antworten.
   Doch zunächst zu den ungarischen Skizzen. Ich freue mich, daß Du die beiden verwenden willst. Besonders danke ich Dir für die Hinweise, die Du mir gegeben hast. Von Übelnehmen kann keine Rede sein. Wenn man nämlich ein Manuskript nur mit der üblichen Bitte zurückbekommt, es stilistisch zu überarbeiten usw. usw., dann kann man sich dafür nichts kaufen. Wird man aber auf Unebenheiten aufmerksam gemacht, weiß man, um was es sich handelt und kann die betreffenden Stellen umarbeiten. Da ich sowieso in manchen Dingen etwas flüchtig verfahre, ist es mir immer lieb, wenn ich auf solche Sachen hingewiesen werde, und es ist mir auch gar nicht unangenehm, wenn der Redakteur gewisse Korrekturen selbst vornimmt.
   Übrigens besteht linguistisch zwischen dem Begriff »ein Kind haben« und »ein Kind bekommen« ein kleiner Unterschied. Man kann sich endlos darüber streiten, denn »haben« kann wohl auch der Mann das Kind; er kann es nur nicht »bekommen«. – Aber wie gesagt, man kann darüber streiten, bis der letzte Schnaps ausgetrunken ist, und hat nichts dabei gewonnen. Dann bin ich schon dafür, daß man auch den Anschein vermeidet, gegen die Naturgesetze verstoßen zu wollen und so einen neunpfündigen Jungen durch ... – na ja, eine tolle Geschichte wäre das!
   Und nun etwas anderes.
   Du wirst gemerkt haben, daß diesem Brief etwas beiliegt. Ich habe zwischen den Ungarn-Skizzen mal etwas pausiert und dabei eine Konzeption für das geplante Bergmannsbuch entworfen. Viel Geschick für solche Exposés habe ich noch nie gehabt, aber ich glaube, Du wirst einen allgemeinen Überblick bekommen. Vermutlich werde ich Anfang der nächsten Woche mal in Berlin sein, und ich würde mich freuen, Dich anzutreffen. Dabei könnten wir über diesen Plan sprechen. Es wird der Anlage nach keine Erzählung von der Art werden, wie sie die beiden Bücher enthalten, die Du mir geschickt hast, sondern ein nicht allzu dicker Roman. Übrigens meinen herzlichen Dank für die Büchersendung. Beide Arbeiten sind sehr interessant.
   Falls also nichts mehr dazwischenkommt, kreuze ich in der nächsten Woche in Berlin auf. Vorsichtshalber werde ich Dir noch ein oder zwei Tage vorher telegrafieren, vielleicht kannst Du es dann einrichten, daß ich Dich treffe. Sollte es nicht möglich sein, kannst Du mir vielleicht mal Deinen Eindruck schreiben. Ich möchte Anfang 1953 damit beginnen, das Buch niederzuschreiben, denn der ganze Kopf steckt mir voll mit diesem Stoff, ich möchte ihn loswerden. Nur weiß ich nicht, ob Dir aus diesem komischen Exposé ersichtlich ist, worum es Dir geht. Deshalb hoffe ich, daß wir noch darüber sprechen können, besonders weil ich viel Interesse daran habe, das Buch mit einem Verlag zusammen zu arbeiten, der sich für das Thema entscheidet, denn sonst kann es mir passieren, daß ich nachher mit dem fertigen Manuskript hausieren gehe und keiner es drucken kann, weil der Plan »verplant« ist!
   Genug der Scherze. – Ich hoffe, daß wir uns bald treffen werden.
Mit vielen herzlichen Grüßen
Dein                                  
Harry Thürk                       

Anlage.
Übrigens hat sich meine Adresse verändert. Benutze bitte die neue.



Herrn
Harry Thürk
Fliederweg 4
Weimar / Thür.
Berlin, den 18.11.1952

Lieber Harry Thürk!
Herzlichen Dank für Deinen lustigen Brief vom 11. 11. und dann vor allem natürlich für das Exposé. Du nennst es ein komisches Exposé, es ist aber gar nicht so komisch! Ich muß sagen, was Du Dir darin vorgenommen hast, ist allerhand. Offen gestanden bin ich von der Fülle des Stoffes etwas überwältigt. Wenn Du das alles, was Du darin vorhast, richtig hinkriegen willst, so brauchst Du doch sicher mindestens 300 Seiten. Oder läßt sich diese so umfassende Handlung kürzer zusammendrängen?
   Und dann noch eine Frage, die mich sehr interessiert. Woher hast Du diese genaue Kenntnis von einem Kalibergwerk? Man hat den Eindruck, daß Du Dich lange in einer solchen Grube herumgetrieben hast.
   (Die vorstehenden Bemerkungen und Fragen sind – falls ich mich nicht verständlich genug ausgedrückt habe–durchaus anerkennend gemeint.) Ich wäre also sehr daran interessiert zu sehen, was aus Deinem Exposé wird, besser gesagt, nicht passiv zuzusehen, sondern Dir dabei zu helfen. Eine längere Aussprache über Dein Exposé müßte dabei eigentlich der Beginn sein, ein Vertrag zwischen Dir und dem Aufbau-Verlag wäre, wenn wir uns verständigen, der zweite Schritt.
   Soweit ich Dein Exposé nach einer ersten Durchsicht beurteilen kann, sei folgendes gesagt:
   Die Handlung beginnt nach der Katastrophe in der Grube. Das ist ein guter, wirklich spannender Anfang. Ich könnte mir vorstellen, daß Du einen Querschnitt gibst, sozusagen ein Echo des Grubenunglücks an den verschiedenen Winkeln all derer, die mit der Grube zu tun haben. Dabei würden wir wohl dem leichtsinnigen Ziller als einem der ersten begegnen und dann erst – also recht umgekehrt wie es in Deinem Exposé aussieht – den alten Sobek in seinen recht komplizierten ganz auf das Technische gerichteten Problemen antreffen. Die Geschichte, so wie Du sie mir damals abends erzähltest, geht in Deinem Exposé ein wenig unter, und das ist im Grunde schade. Ich fand sie als Fabel bedeutungsvoll: die Geschichte des Mannes, der weiß, wie man es besser macht und dem andere vorführen müssen, was er selber weiß. Vielleicht läßt sich diese Fabel stärker herausheben, wenn man ein wenig Rankenwerk der Handlung, das sich in Dein Exposé eingeschlichen hat, wieder wegschneidet. Dabei bin ich ganz offen gestanden gar nicht so sehr für dieses Wegschneiden, es sei denn dort, wo Du Dich allzusehr bemühst, sozusagen »alles drin zu haben«. Schau mal, muß der Volkspolizist nun verwundet sein, oder kann er nicht aus einem anderen Grunde im Krankenhaus liegen? Muß Ziller am Schluß selber zur Grenzpolizei gehen? Gut, man kann das schreiben, man kann das auch überzeugend und wirklich lebensnah schreiben. Aber das ist ungeheuer schwer, und ich fürchte, es lenkt auch vom Problem Deiner Erzählung ab. So solltest Du Dir das noch einmal überlegen! Es gibt da Dinge – in dieser Hinsicht – in einem Exposé, die nicht sitzen. Das betrifft zum Beispiel den Beginn der Liebesepisode zwischen Ziller und Ursula Maltz. Weißt Du, was da wörtlich in Deinem Exposé steht?
   »Ziller wird auch durch die ernsten Gespräche mit der jungen Frau moralisch weiter gefestigt.« So habe ich mir immer gedacht, fängt eine Liebe an! Gewiß, gewiß, die Ursula Maltz hat ihren Mann beim Grubenunglück verloren. Sie wird also ernst gestimmt sein. Aber glaubst Du, daß ihre Beziehung zu Ziller, auch wenn die Gespräche ernst sind zu Beginn, wirklich damit anfängt, daß sie den jungen Mann moralisch festigt, oder glaubst Du nicht, daß Du hier die Dinge ein wenig professoral darstellst? Was sich abspielt zwischen Ziller und der jungen Witwe, das ist doch das, daß sie nach dem Schmerz über den Verlust ihres Mannes sich in der Begegnung mit Ziller wieder dem Leben zukehrt und daß Ziller, dieses leichtsinnige Huhn, in dieser Begegnung mit ihr mit einem Mal etwas an den Frauen entdeckt, was er bisher bei seinem vielen Suchen nicht gekannt hat.
   Gewiß kannst Du mir sagen, daß sei eben nur so eine Formulierung für das Exposé. Schön und gut. Aber laß uns diese Formulierung ändern und laß uns den Schluß bedenken und den ein wenig allzu technischen Anfang, und dann und immer wieder und vor allem die Notwendigkeit, Deine Fabel zum Mittelpunkt, zum roten Faden der Handlung zu machen. Zum Schluß will ich Dir noch gestehen, daß ich Dein Exposé gern, daß ich es mit Interesse gelesen habe, daß ich mir viel davon verspreche, ja, daß ich mich auf das Buch, das daraus wachsen soll, ehrlich freue.
Mit freundlichen Grüßen
Dein                           
Bodo Uhse                  



Herrn
Harry Thürk
Fliederweg 4
Weimar / Thür.
Berlin, den 1.1.1953

Lieber Harry Thürk!
Zunächst einmal alles Gute zum neuen Jahr, für das Du Dir ja allerhand vorgenommen hast. Ich hoffe, daß es Dir gelingen wird, die große Arbeit, die vor Dir steht, zu bewältigen und verspreche Dir, daß ich alles tun werde, Dir dabei zu helfen, soweit es in meinen Kräften steht. Du weißt, daß mein Interesse an Deinem Unternehmen recht groß ist und daß ich mancherlei Erwartungen daran knüpfe.
   Der Vertrag für Dich ist mir heute vorgelegt worden und wird in den nächsten Tagen an Dich abgehen. Es tut mir leid, daß sich die Sache so lange verzögert hat, darum bin ich aber nicht schuld. Nun ein paar Worte zu Deinem Exposé. Das heißt zunächst einmal einen Kommentar aus dem Munde eines Schriftsteller-Kollegen, der Dir gewiß nicht unbekannt ist. Ich lege Dir also einen Ausschnitt aus dem Neuen Deutschland bei, mit ein paar Worten Ehrenburgs (die Dir allerdings schon vor einem Jahr, als sie im Aufbau gedruckt wurden, hätten auffallen können)...
  Nachdem Du also Ehrenburg gelesen hast, darf ich in meiner Rede weiter fortfahren. Wieso haben eigentlich alle Leute bei Dir zweisilbige Namen, schlimmer noch, die meisten haben keine Vornamen, und es fehlt Ihnen damit einfach ein Stück Ihrer Persönlichkeit. Ein Name ist bestimmt wichtig. Man hat mancherlei Mittel, eine Gestalt zu charakterisieren, auch der Name ist ein solches Mittel, das allerdings vorsichtig und mit Diskretion gehandhabt werden muß. Also, versuche Dir darüber klarzuwerden und quäl Dich da ein bißchen. Du brauchst ja nur eine Zeitschrift aufzuschlagen oder ein Telefon-, Adreßbuch, und Du wirst große Entdeckungen machen...
   Dies war sozusagen die zweite Vorbemerkung. Langsam komme ich zum eigentlichen.
   Du schreibst einen Roman. Was ist ein Roman? Er berichtet von Erlebnissen, Entwicklungen, Wandlungen der Menschen, es gehört dazu, daß die entscheidenden Figuren, »die Helden« des Romans, dem Leser so nahe gebracht werden, daß er meint, sie aus dem Leben zu kennen. Das Leben eines Menschen besteht aus vielen Teilen. Die Arbeit ist der wichtigste und entscheidendste Teil. Erinnerst Du Dich, wie Gorki in »Meine Universitäten« über die Arbeit, d. h. über arbeitende Menschen, schreibt? Der Vorgang der Arbeit ist darin ganz klar geschildert, aber nicht einen Moment tritt in dieser Schilderung der Mensch, der die Arbeit verrichtet, hinter dem Arbeitsvorgang zurück.
   In Deinem Exposé fehlt noch immer viel an dem Menschen Sobek. Er lebt noch lange nicht. Ich weiß aus dem neuen Exposé noch nicht einmal, ob er verheiratet ist oder nicht, und wenn er verheiratet ist, hat er offenbar keine Kinder oder hat er welche? Vieles in Deinem Exposé hat noch keine Gestalt angenommen und entspricht dadurch dem Schema, das Ehrenburg charakterisiert. Zweimal passiert es Dir, daß Sobek sich in einer Diskussion überzeugen läßt. Einmal im Gespräch mit Schäffer, als es darum geht, daß Sobek mit Haller zusammen arbeiten soll; dann wieder im Gespräch mit Schäffer, als Sobek den jungen Fahrmann in seine Brigade aufnehmen soll. Die Gestalt Fahrmanns überhaupt kommt mir jetzt nahezu überflüssig vor. Sobeks Verhältnis zu dem jungen Menschen, Sobeks Beziehung zu Liebig und seine Auseinandersetzung mit ihm sind unklar. Das sitzt alles noch nicht. Wie gesagt, hier fehlt das Menschliche. Sobek ist auch in diesem Exposé nur der Träger einer Funktion, aber keine lebendige Gestalt. Du muß wohl doch mehr Liebe an ihn wenden.
   Nun habe ich nur Kritisches gesagt und bin noch nicht einmal damit fertig. Mir ist aufgefallen, daß Du Dein Exposé in der Gegenwartsform schreibst. Ich würde Dir sehr empfehlen, das bei dem Buch nicht zu machen. Mit der Gegenwartsform kann man leicht fälschen, es ist besser, in der Vergangenheit zu schreiben, nur große Schriftsteller können sich die Gegenwartsform leisten. Und dann noch eines: Für einen Schriftsteller gilt es, daß er jede Zeile, die er schreibt, sei es nun ein Brief, eine Notiz oder ein Exposé, klar schreibt, sauber, so gut wie er es eben kann. Es gibt nichts, das unwichtig wäre.
   Damit soll es aber für heute genug sein und nun mach Dich dran. Wenn es Dir glückt, das erste Kapitel, das Grubenunglück, mit all seinen Spannungen und Verwicklungen, mit der Warnung Sobeks, mit dem tragischen Tod von Maltz so zu schildern, daß wir es miterleben und daß wir dabei einen Kontakt und eine Beziehung zu all den Menschen gewinnen, die in Deinem Buche Leben bekommen sollen, dann hast Du wahrscheinlich das Schwerste geschafft und der Rest des Buches wird sich nicht gerade von selber schreiben, aber doch sehr viel leichter bewältigen lassen. Und nun Glück auf!

Mit recht herzlichen Grüßen
Dein                                 
Bodo Uhse                        

PS Die Auslagen für Deine Reise nach hier habe ich Dir angewiesen. Ich hoffe, Du bekommst sie bald. Anbei das Manuskript von Boris Palotai. Es ist für uns nicht brauchbar.

Anlagen