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Primärliteratur

   QUELLENTEXT
Titel HARRY THÜRK - Brief vom 28. Dezember 1992
Autor Harry Thürk
Herausgeber Richard Zipser (Prof., University of Delaware, USA)
Publikation Fragebogen: Zensur - Zur Literatur vor und nach dem Ende der DDR (ISBN: 3-379-01541-5)
Verlag, Ort, Jahr Reclam-Bibliothek Band 1541, Reclam Verlag, Leipzig 1995
Seitenangabe S. 7-12 (Vorwort), S. 309-322 (Kapitel "Die Antworten der Autoren")
   
Textart Analyse / Aufsatz / Erläuterung, Volltext
Anlass, Thema Briefumfrage unter DDR-Autoren zur Zensur in der DDR
Vorwort

Dieses Buch knüpft an ein Projekt an, das ich in den späten achtziger Jahren gemeinsam mit drei Koautoren in Angriff genommen hatte. Damals ging es um die Untersuchung von »Literary Censorship in the German-Speaking Countries« vor allem in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Diese Studie wurde im Frühjahr 1989 - sechs Monate vor der sogenannten Wende - abgeschlossen und in aufeinanderfolgenden Sonderausgaben der Fachzeitschrift »The Germanic Review« von der Columbia University publiziert. Ich war damals Herausgeber der Gesamtstudie und gleichzeitig für den Teil über Literaturzensur in der DDR verantwortlich. Um Informationen zur Zensur aus erster Hand zu bekommen, verschickte ich 1987 und 1988 einen Fragebogen an vierundzwanzig DDR-Schriftsteller, die das Land verlassen hatten und nun in der BRD arbeiteten. Zum damaligen Zeitpunkt hatte ich mich dazu entschlossen, keine Autoren anzuschreiben, die noch in der DDR lebten, in der Meinung, daß ich genügend und möglicherweise auch zuverlässigere Informationen über Literaturzensur von denen erhalten würde, die weniger oder keine Angst vor möglichen Repressalien zu haben brauchten.
In der Zeit nach der Wende kam mir der Gedanke, eine weit umfangreichere Dokumentation ausschließlich zur Literaturzensur in der Deutschen Demokratischen Republik zu erarbeiten. Dieses Mal sollten vorwiegend Schriftsteller zu Wort kommen, die bis zum Zusammenbruch der DDR im Jahr 1989 in diesem Land gelebt und gearbeitet hatten. Ab dem Studienjahr 1992/93 konnte ich mich endlich voll und ganz dem Projekt widmen.
  Mein Buch konzentriert sich primär auf einen die letzten 25 Jahre umfassenden Zeitraum und besteht aus zwei Hauptteilen. Im ersten mit dem Titel »Dauer im Wechsel: Literaturzensur in der Deutschen Demokratischen Republik« wird der Leser mit der Problematik der Literaturzensur in der DDR vertraut gemacht. Darin werden u. a. folgende Fragen diskutiert: Warum wurde die staatliche Zensurpraxis als notwendig angesehen? Welche rechtliche Grundlage lieferte die Verfassung der DDR dafür? In welchen Formen zeigte sich die Zensur in der vierzigjährigen Geschichte der DDR? Wie wurde sie offiziell und inoffiziell durch die verschiedenen staatlichen und andere Institutionen ausgeübt? Wie versuchten einige Schriftsteller, der Zensur auszuweichen? Weiter geht es um das heikle und besonders schwierige Problem der Selbstzensur, um die positiven wie auch negativen Auswirkungen der Zensur auf schriftstellerische Kreativität und Produktivität und nicht zuletzt um die Frage, wie die Schriftsteller das Zensurklima im vereinigten Deutschland empfinden.
  Der zweite und umfangreichere Teil des Buches mit dem Titel »Die Antworten der Autoren« gibt dem Leser einen unmittelbaren Einblick, wie Literaturzensur funktionierte und welchen Effekt diese auf die Arbeit und das Leben der betroffenen Schriftsteller hatte. Um an Insiderinformationen zu gelangen, schrieb ich Ende 1992 und Anfang 1993 an ungefähr 240 DDR-Autoren unterschiedlichen Alters und Bekanntheitsgrades, die das gesamte in der DDR vorhandene politische Spektrum (von den Linientreuen bis hin zu den sogenannten Dissidenten) verkörperten, mit der Bitte, direkt oder in Essayform auf die folgenden sechs Fragen zu antworten:

1. Wie und zu welchem Zweck funktionierten Ihrer Meinung nach die verschiedenen Formen von     Literaturzensur (z.B. staatliche, ideologische, juristische und Selbstzensur) in der DDR?
2. Hat die Ausübung von Literaturzensur Ihre Sprache, Thematik oder ästhetische Position beeinflußt?
3. Wurde eines Ihrer Werke jemals zensiert? Wenn ja, beschreiben Sie doch bitte den Fall.
4. Haben Sie jemals Selbstzensur ausgeübt? Wenn ja, unter welchen Umständen, und was war Ihre
    Motivation?
5. Welche Formen von Zensur haben Sie seit Ihrem Weggang aus der (ehemaligen) DDR bzw. seit der
    Vereinigung erlebt?
6. Haben Sie zum Thema Literaturzensur weitere Erfahrungen oder Informationen, die Sie hier mitteilen
    möchten?

Die Reaktion auf meine Bitte war überwältigend. Ich erhielt Briefe von mehr als der Hälfte der Autoren, die ich angeschrieben hatte, und am Ende waren über 70 Schriftsteller damit einverstanden, sich an meinem Projekt zu beteiligen. Einige verwiesen in ihren Antwortschreiben auf eigene, bereits publizierte Arbeiten zum gleichen Thema (auf die im Anhang dieses Buches verwiesen wird). Eine größere Zahl der Angeschriebenen lehnte es jedoch ab, an dem Projekt mitzuarbeiten. Die Gründe dafür waren unterschiedlich. Zu nennen wären beispielsweise das teils verständliche Bestreben, nichts zu sagen, was dazu beitragen könnte, das ohnehin angekratzte Image der DDR weiter zu beschädigen. Zuweilen wurde auch der Verdacht geäußert, daß mein Buch sehr einseitig ausfallen müßte, da die DDR und ihre Schriftsteller in einem schlechten Licht erscheinen würden. In manchen Reaktionen spiegelte sich auch die Angst wider, daß die Veröffentlichung einer ehrlichen Schilderung der Erfahrungen mit der DDR-Zensur ehemalige DDR-Verlage (speziell solche, die sich in der Vergangenheit reichlich der Zensur bedient hatten) veranlassen könnte, sich von den betreffenden Autoren zu trennen. Bei einigen scheiterte eine Veröffentlichung auch schlicht und einfach an der Tatsache, daß ich ihnen kein Honorar zahlen konnte. Andere Schriftsteller wiederum wollten nicht teilnehmen, weil sie sich einfach über die Entwicklungen ärgerten, die zu dem schnellen Untergang der DDR und dann zur raschen Vereinigung mit der BRD geführt hatten. Manche waren verbittert darüber, daß sie immer noch keinen Verleger für ihre Arbeiten im neuen, vereinigten Deutschland gefunden hatten. Jeder einzelne Brief, den ich bekam, war informativ, und ich danke auf diesem Wege nochmals allen Schriftstellern, die sich die Zeit genommen haben, auf meinen Fragebogen zu reagieren. Ohne sie würde dieses Buch nicht existieren.
  Es gibt eine Reihe von immer wiederkehrenden Themen in den Antworten der Autoren, auf die kurz hingewiesen sei. Auffällig ist die häufige Beschäftigung mit den Auswirkungen einer marktorientierten Buchindustrie auf die Veröffentlichungspraxis, etwas, mit dem sich die meisten DDR-Schriftsteller früher nie auseinanderzusetzen hatten. Viele mußten sich erst an den Gedanken gewöhnen, daß sie nun Bücher zu schreiben und Themen auszuwählen haben, für die sich Leser interessieren und die sich auch verkaufen lassen. Nach Ansicht verschiedener Autoren stellt das eine neue Form der Zensur dar, eine Zensur des Marktes, etwas, das sie als schlimmer ansehen, als alles, was sie in der DDR erlebt haben. Bemerkenswert sind auch die Beobachtungen zur Selbstzensur, und in manchen Fällen reflektieren diese den Versuch, etwas zu bewältigen, für das man sich heute schämt. Einige Schriftsteller behaupten, daß sie sich nie selbst zensiert haben, andere geben es (manchmal im Ton einer Beichte) offen zu, und wieder andere beschreiben, wie sie es geschafft haben, den staatlichen Zensor hinters Licht zu führen, indem sie lediglich so taten, als zensierten sie sich selbst.
  Eine gewisse Wiederholung - insbesondere bei der Darstellung der staatlichen Zensurmechanismen - ist in einem Buch dieser Art unumgänglich. Dennoch dürfte die Lektüre an keiner Stelle langweilig werden, da jeder Autor auf die ihm eigene Art schreibt und unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt werden. Hinzu kommt, daß wohl kaum ein Leser alle Beiträge von A (Abraham) bis Z (Zwerenz) wie einen Roman durchlesen, sondern eher selektiv von Autor zu Autor springen wird. Um den Dokumentarcharakter eines Bandes zur Literaturzensur keinesfalls zu verfälschen, war es nicht meine Aufgabe, den Edierstift anzusetzen. Allein orthographische Fehler wurden korrigiert und die nicht zum Thema gehörenden Anreden der Briefe gestrichen. Eckige Klammern verweisen auf vom Herausgeber vorgenommene Zusätze bzw. Auslassungen.
  Wenn schöpferische Menschen über sich und ihre persönlichen Erfahrungen berichten, dann sind die Grenzen zwischen sich tatsächlich in dieser Weise Zugetragenem, subjektiv so Empfundenem und Gewolltem, d.h. die Grenzen zwischen Objektivem und Subjektivem, häufig fließend. Die meisten Autoren in diesem Band waren wirklich Opfer der Zensur in der DDR und erzählen, was sie erlebt haben. Einige aber, die nicht nur die von ideologischen Doktrinen diktierte Zensur, sondern sogar die Verfolgung sogenannter Dissidenten durch die Staatsmacht unterstützten, haben ihren Beitrag dazu genutzt, sich in einem guten Licht, d.h. selbst als Opfer der Zensur, darzustellen. Da ich unmöglich jede einzelne Schilderung von Erlebnissen mit der Zensur, so wie sie zu Papier gebracht wurde, werten kann, ist das Urteilsvermögen des Lesers und seine Fähigkeit, »zwischen den Zeilen zu lesen«, gefordert.

[Die Danksagungen, die an dieser Stelle im Vorwort folgen, wurden weggelassen.]

Richard Zipser, April 1995
HARRY THÜRK
Brief vom 28. Dezember 1992

[Mein Beitrag] wird [...] kein Essay im strengen Sinne, sondern eher eine Kette von Hinweisen, die Ihnen alle zusammen helfen sollen, das besagte Phänomen zu begreifen, was für einen Außenstehenden eben nicht leicht ist, wenngleich er sich schon lange mit der Literatur des fraglichen Landes beschäftigt hat. Wie schwer es sein wird, zu tragbaren Urteilen zu kommen, das ersehe ich aus der von Ihnen freundlicherweise beigefügten Special Issue des »Germanic Review«. Hier gibt es sehr kluge Aussagen. Aber es gibt auch solche, die ich für fragwürdig halte, wobei ich die im einzelnen allerdings nicht kommentieren möchte - es handelt sich um subjektive Aussagen, als solche sollten Sie sie werten. Mir kommt dabei die Erfahrung in den Sinn: Wenn zwei Hunde beieinander stehen, und der eine bekommt einen Knüppel ins Kreuz geworfen, dann bellt dieser eine wütend, während der andere das gar nicht spürt. Und doch stehen sie beide an der gleichen Stelle. Ich will Ihnen ergänzende Hinweise geben, die vielleicht in der Lage sind, das Thema für Sie ein wenig mehr abzurunden. Dabei bin ich - jedenfalls gebe ich mir Mühe - unparteiisch, ich möchte Details objektiv an Sie weitergeben, auf daß Sie sich selbst ein Urteil bilden.
  Da wäre zunächst etwas, auf das ich Sie aufmerksam machen möchte, weil es das nach meiner Kenntnis in angelsächsischen Ländern nicht oder wenig ausgeprägt gibt, das ist die deutsche Unterscheidung (bei Kunst) in E und U. Wobei E für »Ernste Literatur« steht, auch für »Elitäre Literatur«, und U für »Unterhaltsames«. Es handelt sich um eine alte, gewachsene deutsche Untugend, die man bei der Betrachtung ausländischer Literatur und Kunst sogar oft übertragen hat. Faulkner ist nach diesem deutschen Verständnis von Kunst nämlich E. Bei Norman Mailer etwa ist man sich nie ganz klargeworden, ob er E oder U ist, die Mehrzahl der Betrachter tendiert zu U. Haley, Ruark, Clavell - das wären so eindeutig U-Autoren, daß kein sich selbst ernst nehmender Literaturpapst in Deutschland sie auch nur erwähnen würde: das ginge über seine Selbstachtung hinaus, diese Leute sind literarisch nicht satisfaktionsfähig, sie befriedigen (ich bleibe im deutschen Usus) niedere Instinkte von Leuten, die eben gerade mal lesen können, die aber in ihrem Anspruch indiskutabel sind - für Literaten. (Ich mache Sie aufmerksam, daß z.B. Erich Maria Remarque stets in Frage stand, was diese Wertung betrifft; obzwar es einige Mutige gab, die ihn sozusagen zu E schlugen, bestrafte die Elite der Kritiker ihn jedoch für seine »Lesbarkeit« lebenslang mit Nichtbeachtung oder »Na ja ...«). Diese Geisteshaltung von Literaten in Deutschland muß man kennen, bevor man ihre Aussagen wertet, auch bevor man Literaturpolitik in der DDR einschätzt. Hier wurde nämlich systematisch so etwas aufgebaut (man kann auch sagen herangezüchtet) wie eine Vorzeige-Liga von E-Autoren. Die sollten in der übrigen Welt die (nicht völlig falsche) Vorstellung beflügeln, alle ernsthaften und gewichtigen Autoren deutscher Sprache hätten Heimat in der DDR genommen. Was auf die Linken unter ihnen sicher zutraf. Mit Ausnahmen allerdings. Aber diese Liga - zu ihr gehörten so bedeutende Leute wie die Wolf, wie de Bruyn, wie Braun etc. -, diese Liga war Repräsentation. Alles was von ihr kam, wurde sehr genau betrachtet, man stritt mit ihnen um Kleinigkeiten, allerdings bis zu einer Grenze: wenn sie andeuteten, sie würden sich der Zensur entziehen und nach dem Westen gehen, machte man Konzessionen. Man gewährte ihnen ziemliche Freiheiten. Zum Beispiel jene, im Westen zu veröffentlichen. Aber man machte aus einem Negativum eben ein Positivum, indem man dem Ausland weismachte, an den Arbeiten dieser E-Leute könne man (speziell an ihren systemkritischen Schlenkern) erkennen, welch liberaler Staat für Künstler doch die DDR sei, hier könne man eben alles tun. Es konnte nicht verwundern, daß die E-Liga ihre Position schnell begriff und ihrerseits Vorteil daraus zog, die meisten brachten es fertig, ihre »systemkritischen« (das setze ich wirklich ernsthaft in Gänsefüßchen) Arbeiten westdeutschen Verlegern als kritische Literatur von Weltgeltung anzudrehen, zur Veröffentlichung im Westen, und daraus nicht unbeträchtliche (materielle) Vorteile zu ziehen. Hinweis: In der DDR konnte so ziemlich jeder Autor, der eine Einladung nach einem westlichen Land vorwies, ein Visum bekommen. Hatte er keine, dann hatte er ja auch im Westen kein Geld, so bekam er kein Visum. Das brachte es u.a. mit sich, daß einige der DDR-E-Autoren in der westlichen Welt »zu Hause« waren, andere Erzähler sie nie zu sehen bekamen.
  Zu den U-Autoren: Die große Zahl jener, die Geschichten erzählten, die Leute freiwillig lesen sollten, wurde von der Administration überraschend ernst genommen. Hier befand man sich in einem Zwiespalt. Einerseits hielt man das Produkt der Leute für »literarisch wertlos«, andererseits wußte man aber, daß es wahnsinnig gern gelesen wurde und sozusagen Massenwirkung zeitigte. Also verfuhr man zweigleisig. Man verhielt sich bei der Genehmigung von U-Scripten noch kleinlicher. Und man schränkte ihr Bekanntwerden systematisch dadurch ein, daß man sie kaum rezensierte. Vielfach wurden sie - weil sie auch administrativ geringe Auflagen bekamen - unter dem Ladentisch verkauft, wie wir sagten.
  Zwischen diesen beiden Kategorien (daß ich sie als Kategorien sehe, heißt nicht, daß Sie mir dabei folgen müssen, Sie sollen sich lediglich über die Sache an sich Gedanken machen) stand die nicht sehr homogene Gruppe der Oppositionellen. Sie setzte sich zusammen aus echten Systemgegnern, deren Arbeiten nie veröffentlicht wurden, aus »Umgehern«, die durch die Blume hin und wieder ein paar Aussagen machen konnten, aus Leuten, die illegal publizierten (Rotaprint-Abzüge), aus Anpassern, die mit sich reden ließen, aus Leuten, die sich selbst für Schriftsteller hielten, welchselbigen Eindruck andere allerdings nicht von ihnen hatten, und einigen Randfiguren. Es gab auch solche, die mit dem Kopf gegen die Mauer rannten und provozierten, wo es nur ging. (Wobei gerade in diesem Falle überhaupt nicht auszuloten ist, ob einer nach dem Literatenverständnis E oder U war!)

Zuletzt gehe ich jetzt auf Ihre konkrete Frage Nr. 1 ein: Die Zensur sollte den Eindruck erwecken, daß es in der DDR eine Heimat für (E-)Literatur gab, die einzige in Deutschland, daß der Literat hier ernst genommen wurde, und daß er die Staatsideologie wie selbstverständlich akzeptierte. Weil sie wahr war. Wie es hieß: Harmonie zwischen Künstlern und Staat, Geist und Macht. Das Bild zu malen, war letztlich Aufgabe der Zensur. Und natürlich die Kanalisierung des Einflusses der Literatur im Sinne der Beeinflussung der Bevölkerung.

Nachzutragen [...] wäre noch eine Besonderheit, die Sie ebenfalls in Rechnung stellen sollten: Nach dem Gesetz hatte jeder Autor der DDR ein Script zuerst einem DDR-Verlag anzubieten. Lehnte der es ab, erwuchs für den Autor daraus die legale Berechtigung, das Script im Ausland anzubieten. Über das Büro für Urheberrechte aber, das war ein scheinbar unerheblicher Umweg, die Leute dort machten das gern, weil sie dadurch für den Staat Devisen beschafften. Der Trick bei der Sache war der: Gleichzeitig war es für DDR-Bürger gesetzlich verboten, zu westlichen Publizisten, Journalisten etc. persönlichen Kontakt aufzunehmen. Sie machten sich also objektiv strafbar, wenn sie mit einem Ausländer über ihr Script verhandelten. Und: Es war gesetzlich verboten, ungedruckte Manuskripte über die Staatsgrenze zu verbringen. Das alles reduzierte die Chancen einer Auslandsveröffentlichung auf die Einwilligung des Büros für Urheberrechte (legaler Vorgang), und damit war der Staat am Hebel. Er konnte steuern. Er konnte z.B. ein kritisches Buch (in kleiner Auflage) in der DDR drucken lassen. Dann hatte er den Vorteil der Erstauflage. Er konnte mit dem Autor Konzessionen aushandeln, um den Eindruck zu vermeiden, DDR-Autoren müßten im Westen veröffentlichen. (Er kassierte die Lizenzgebühren dann später in Valuta.) Und so behielt letztlich der Staat infolge dieses Gesetze-Puzzles auch bei Westveröffentlichungen die Steuerungsmöglichkeit. Nur wenige Autoren, wie etwa Stefan Heym, entzogen sich dieser Falle und riskierten Bestrafung. (Die allerdings meist lächerlich ausfiel, weil der Staat es ängstlich vermied, allzu großes Aufsehen um die Aufsässigkeit einzelner Schriftsteller entstehen zu lassen oder selbst herbeizuführen.)

Zu 2. Ich glaube, so direkt hat sich Zensur nicht bei mir ausgewirkt. Überhaupt - ich gehe später genauer darauf ein - die Wirkung war eben sehr differenziert. Aber ich will Ihnen schildern, wie das bei mir ging. Ich schrieb - und publizierte - 1957 einen Roman über den Zweiten Weltkrieg (»Die Stunde der toten Augen«). Es war mein Anliegen, darzustellen, auf welche Weise eine Generation »verheizt« worden war und von wem. Als das Buch in Deutschland erschien, war ich in China, wo ich mehrere Jahre als Berater in der Zeitungsbranche tätig war. Ich kam 1958 nach Hause, und da wurde mir eine »Kampfversammlung« anberaumt, zusammen mit Karl Mundstock und Rudi Bartsch wurde ich sozusagen zum Ketzer geredet. Die beiden Genannten standen wegen anderer Verfehlungen vor der Versammlung, ich wurde beschuldigt, ich hätte Kriegsverbrechen propagiert, preußische Unteroffiziere verherrlicht und dergleichen Dummheiten mehr. In Wirklichkeit hatte ich dargestellt, daß im Krieg auch Leute nicht nur mit Schüssen, sondern ebenfalls mit Messern getötet wurden, und zwar von Kommandos. Und ich hatte den Propagandisten auf der Seite der Russen, die uns an der Ostfront die letzte Reichstagsrede Thälmanns durchs Megaphon tuteten, indirekt bescheinigt, daß wir überhaupt nicht begriffen, was sie damit von uns wollten (ich war 17!). Irgendwie hatte ich dann auch noch einen Russen nicht so dargestellt, wie man das haben wollte, also war ich Buuuh. Später erfuhr ich, daß Herr Bredel, seines Zeichens Präsident des Verbandes, beim Ministerium für Staatssicherheit offiziell beantragt hatte, mich auf den Verdacht von Kriegsverbrechen zu untersuchen. Zur (fragwürdigen) Ehre dieser Einrichtung muß ich sagen, man nahm das dort nicht auf, man legte die Sache zu den Akten, ohne Konsequenz. Mein Buch wurde allerdings sofort aus den Bibliotheken genommen, für Armeeangehörige zu lesen verboten und dergleichen mehr. Es erschienen gehässige Rezensionen, und ich war Persona non grata. Übrigens wurde die »Anklagerede« auf dieser Versammlung von einer Analytikerin beim Schriftstellerverband gehalten. Ich äußerte mich zu der Sache nicht, ich bin ein ruhiger Typ, und Gekläff regt mich so schnell nicht auf. Also kümmerte ich mich nicht um das Geschwätz und schrieb das nächste Buch. Insofern hat mich (Ihre Frage!) diese erste massive Zensurerfahrung in Sprache, Thematik oder ästhetischer Position nicht beeinflußt. Ich schreibe Ihnen dieses Beispiel auch nicht, um mich zu beklagen, die Sache ist lange vergessen. Was ich danach tat, das hängt nur bedingt mit dieser Erfahrung zusammen: Ich entwickelte mich hin zur U-Literatur, zu dem, was man in angelsächsischen Ländern den Thriller nennt. Dazu trugen meine langen Aufenthalte in Asien bei, aber auch eine gewisse Neugier, die ich für Manipulationen von Geheimdiensten entwickelt hatte. Ich entdeckte sozusagen neues Territorium für mich. Womit ich keinesfalls etwa aus der Schußlinie der Zensur geriet, nein, die U-Literatur wurde schon sehr genau durchleuchtet. Aber ich war aus dem öffentlichen Gespräch heraus und gelangte dafür in um so mehr Hände von Lesern. Sie müssen nämlich wissen, es gab eine komische Wechselwirkung: Wer von den offiziellen Medien der DDR gelobt wurde, wer da dauernd präsent war, als »good guy« sozusagen, dem begegnete der Leser eher mit Desinteresse, wer aber demonstrativ verschwiegen wurde, geschnitten, auf den war man neugierig, den kaufte man. Ich hatte Nutzen davon. Später - als ich Filmarbeit begann - machte ich sogar einmal einen Film über DDR-Spionage, und als er Erfolg hatte, setzte ich das mit gelegentlichen TV-Arbeiten fort, so daß ich eine ganze Menge Spionage- und Spionageabwehrstoffe lieferte, weil das Metier mich faszinierte (als Autor, bitte, ich war nie bei irgendeinem Geheimdienst engagiert!), und weil das Publikum in der sonst recht tristen Literatur- und TV-Landschaft einen handfesten Thriller wohl schätzte. Ich wurde sogar von den Medien wieder akzeptiert, es gab Rezensionen, man kläffte mich nicht mehr an, und ich erhielt Preise für gelungene Arbeiten. Übrigens nahm ich die ohne Skrupel an. Ich war und bin ein linksorientierter Mann, das half mir vermutlich auch, vieles zu übersehen, was man eigentlich in diesem Staat nicht hätte übersehen sollen. Später begann ich, da ich militärhistorische Interessen entwickelte, auch militärgeschichtliche Dokumentationen zu schreiben, die Amerikaner, glaube ich, haben für das, was ich machte, den Begriff »Faction« entwickelt, jene Mischung von Fakten und Fiktion, die z.B. Geschichte lesbar macht für Nichtwissenschaftler. Und da hatte ich persönlich weitere Erfahrungen mit Zensur.
  Beispiele: »Der Reis und das Blut«. Eine Dokumentation über die Pol-Pot-Zeit in Kambodscha. Konnte bis zum Ende der DDR nicht erscheinen, weil ich darauf bestand, das Sihanouk an Eitelkeit leidet. Oder: »Taifun«, eine Trilogie über China, in der ich auch die Kulturrevolution darstelle. Konnte erst sehr spät erscheinen, als Buchclubversion, nicht in Läden verkauft, weil die außenpolitischen Beziehungen mit China, die sich besserten, nicht gestört werden sollten. (Durch ein Buch von mir!) Oder ein TV-Film, in dem ich ein am Boden installiertes - als Ast getarntes - automatisches Funkgerät, wie ich es aus dem Vietnamkrieg kannte, den Funk eines Verkehrsflugzeugs stören lasse. Das wurde mehrfach umgearbeitet, weil die Interflug erklärte, eine solche Darstellung würde ihre Passagiere verunsichern, sei daher unzulässig.
  Ich könnte die Liste fortsetzen. Jeder Autor hierzulande hat solche Erfahrungen gemacht, sie waren nichts Besonderes. Um Ihnen Material zu liefern, zitiere ich aus dem Ablehnungsschreiben des Verlages, der »Taifun« abwies: »... Ich bedaure sehr, daß es uns nicht möglich ist, diesen Titel mit Ihnen gemeinsam zu realisieren. Aber übergeordnete, das Einschätzungsvermögen und die Entscheidungsfähigkeit des Verlages übersteigende Erwägungen zur behandelten Thematik lassen gegenwärtig einen Vertragsabschluß nicht zu....«

Und damit komme ich (außerhalb Ihrer Punktliste) zu ein paar Bemerkungen, die oft im Geschimpfe selbsternannter Moralisten untergehen, die man aber zur Kenntnis nehmen sollte, weil sie aufschlußreich sind. Sie müssen wissen, es gab in der DDR-Literaturlandschaft beim Genehmigungsverfahren eben nicht nur diese ominöse Ministerialbehörde, die wohl Amt für Verlagswesen und Buchhandel hieß, und in der zuletzt Herr Höpcke saß (zuerst, in den Fünfzigern, ein ehemaliger Staatsanwalt namens Bruno Haid!!!), sondern es gab auch das sogenannte Fachgutachterwesen. Besser Unwesen. Das sah so aus: Bei jedem Script, wenn es sich mit einem bestimmten Metier beschäftigte, was ja unvermeidlich ist, wenn man nicht gerade Spinnereien schreibt, die im luftleeren Raum spielen, bei jedem Script also war ein Fachgutachten einzuholen. Flog ein Flugzeug, dann von der Interflug, wurde jemand bei Verbrechen erwischt, dann das Innenministerium, wurde ein Schwein gezüchtet, dann beim Landwirtschaftsministerium, arbeitete jemand am Hochofen, dann beim Ministerium für Schwerindustrie. Was dabei herauskam, war die eigentliche Katastrophe, die alles, was jenes ominöse Amt veranstaltete, weit in den Schatten stellte. Die »Fachgutachter« nahmen ihr Amt nämlich ernst, wie die Deutschen ja ein Amt immer sehr ernst nehmen, egal, was es ist, und wenn’s um die Vernichtung von Menschen geht, dann eben auch. Also bemängelten diese Herren so ziemlich alles, was ein Autor schrieb, hauptsächlich um ihre eigene Bedeutung aufzumotzen und zu beweisen, wie wichtig sie wären, daß es ohne sie und ihre Einwände gar keine stimmige Literatur gäbe. Diese Praxis war z. B. für TV-Arbeiten die schlimmste Erfahrung, die man sich denken kann. Aber auch im Buchwesen wirkte sie sich katastrophal aus. Ich schildere Ihnen ein Beispiel, das sich hier im lokalen Schriftstellerverband abspielte: Da schrieb ein Kollege ein Abenteuerbuch über den Vorderen Orient. Er schilderte u.a. (unter vielem anderen übrigens) einen Harem kleiner Jungen, den sich ein Scheich zugelegt hatte, der Neigungen der dritten Art hatte. Der Fachgutachter (in diesem Falle, wie in jedem Falle, in dem es sich um Darstellungen fremder Länder handelte, ein Beamter aus der Sektion Arabien in Herrn Oskar Fischers DDR-Außenministerium!) flippte förmlich aus: wenn das veröffentlicht werde, dann würde die DDR aus Arabien kein Öl mehr kriegen, es habe unbedingt zu unterbleiben, sonst trete eine Schädigung der Staatsinteressen ein.
  In der Debatte, die es darum gab, machte ich damals eine Bemerkung, die nicht unbekannt blieb. Ich erklärte, wenn dieses Buch in England geschrieben und publiziert worden wäre, und dann ein (wie der Beamte es voraussehend schilderte) Botschafter zum britischen Außenamt kommen würde, um sich über die Lustknabenpassage zu beschweren, würde man ihm dort eine Tasse Tee anbieten und auf die Freiheit der Rede und der Meinung aufmerksam machen, dergestalt, daß man ihm riete, seinen Protest nicht laut werden zu lassen, weil die Zeitungen dann verbreiten würden: »Arabischer Diplomat fordert Einschränkung der Publikationsfreiheit in England«. Es gab allgemeines Gelächter, aber die Fachgutachterpraxis lief natürlich weiter.
  Das Manuskript von meinem Buch »Taifun« wurde von Herrn Höpcke zur (fachlichen) Begutachtung an den damals amtierenden Botschafter der DDR in Peking gegeben. Worauf dieser Höpcke verbindlich mitteilte, wenn dieses Buch jemals gedruckt würde, dann würde er persönlich auf dem Wege über Herrn Honecker dafür sorgen, daß der Autor das bekäme, was ihm gebührt. Womit ich Ihre Frage 3 gleich mit beantwortet habe: Bitte, verstehen Sie, daß dies die tägliche Praxis eines Autors in der DDR war, es ist nachträglich Mode geworden, das alles prächtig zu vergrößern und vergröbern, Schlagworte wie Unterdrückung und anderes für die eigene Person zu reklamieren - glauben Sie mir, das war der Alltag. Daß sensible Künstlernaturen ihn nicht ertrugen, werde ich keinesfalls leugnen, aber die Mehrzahl von uns bekam ein dickes Fell. Vertrug eine Menge. Und genau das war die Absicht: das sollte erreicht werden.

Womit ich zu Ihrer Frage 4 komme. Da möchte ich Sie aufmerksam machen - nach dem, was ich vorher schrieb -, daß man die Sache nicht so sehen kann, als habe ein bestimmter Autor zu einer bestimmten Zeit bei einem bestimmten Werk Selbstzensur geübt. Das wäre eine Fehlstrecke. Nein, Zensur, auch Selbstzensur, war in der DDR kein punktuelles Ereignis, es war ein Vorgang, ein Prozeß. Und der sah so aus, daß mit Hilfe von Anfangskonflikten eine Art Vorsichtshaltung beim Autor erzeugt wurde, die von vornherein verhinderte, daß er in Konflikt mit der Zensur kam. Das ist eine Art Erziehung gewesen. Wer auch nur in etwa den Staat akzeptierte, unterwarf sich dieser Prozedur. Er wurde einige Male korrigiert, bekam »Auflagen«, nach und nach, mit der Zahl seiner Veröffentlichungen, wurde das weniger, und schließlich funktionierte der Mechanismus weitgehend von selbst: Der Autor wußte von vornherein, »was geht und was nicht geht«. Er hatte seine Ruhe, verdiente sein Geld, und man ließ ihn schreiben. Ich behaupte, er merkte gar nicht mehr, daß er sich selbst zensierte. Und dabei spreche ich sehr wohl auch von mir!
  Vergessen habe ich, auf die unheilvolle Auswirkung des Kalten Krieges aufmerksam zu machen. Das Phänomen Zensur in der DDR ist ohne Einkalkulierung des Kalten-Krieg-Umfeldes gar nicht zu durchschauen. Die Frontstellung im Kalten Krieg lieferte jedes beliebige Argument, um jeden beliebigen Autor [darauf] aufmerksam zu machen, daß er die »eigenen« Kräfte durch etwas, das er schrieb, schwächte, also »unverantwortlich« handelte. So gesehen waren die Autoren - das Geistesleben überhaupt - nolens volens Akteure und Schauplatz des Kalten Krieges. Das heißt, sie konnten sich natürlich ausklinken. Einzelne taten das. Aber dazu brauchten sie die massive Unterstützung durch einflußreiche Gremien im Westen, und wer hatte die schon? Allein gelassen, landete man da in Bautzen. Und wer wollte schon da hin? Es gab einige wenige Wahrheitssucher, die jegliche Konzession ablehnten, aber eben wenige. Und bei denen kam diese Haltung nicht selten nach einer Phase emphatischen Engagements für den Sozialismus. Ich erinnere mich an Kunze. Leute, die mit ihm im selben Seminar in Leipzig saßen, hatten damals förmlich Angst vor seiner »sozialistischen Konsequenz«. Später wurde er zum konzessionslosen Gegner des Systems. Und das tat etwas, das es für klug hielt, es bürgerte ihn aus, nachdem es ihm das Leben privat schwergemacht hatte. Aber solche Gestalten waren rar. Selbstzensur wurde allgemein geübt, wie ich glaube, weithin ohne das noch zu empfinden.
  [... I]ch sollte noch etwas sagen über die scheinbare Homogenität des Systems und seiner Entscheidungen auf dem Gebiet der Literatur und Kunst.
  Homogen war da nichts. Es gab bis in die höchsten Kreise hinauf unterschiedliche Meinungen über einzelne Werke. So las Honecker z.B. kaum Bücher. Hager las sie, äußerte sich aber nicht, sondern überließ die Wadenbeißerei einer seiner Mitarbeiterinnen, einer im ZK beamteten Musiklehrerin, die man wegen ihrer Geschwätzigkeit inzwischen in Schriftstellerkreisen allgemein »Das Waschweib« nannte, was meines Wissens von den Parteibeamten nicht einmal geahndet wurde. Jedenfalls die letzten Jahre nicht mehr, da war man froh, wenn man mit Autoren möglichst wenig Streit bekam. Weiter: Politbüromitglieder wie Axen oder Neumann, auch Mittag, waren gar nicht in der Lage, geschriebenes Wort zu beurteilen. Von Stoph ganz zu schweigen. So blieb der Kulturminister, und der delegierte Geschriebenes an den besagten Herrn Höpcke, zu dem sich ein paar Worte lohnen. Der verstand nämlich, die Vorliebe eines einzelnen im hohen Amt recht vernünftig gegen die Ablehnung eines anderen auszuspielen und für Autoren möglichst viel herauszuschlagen. Höpcke kannte Autoren persönlich, las selbst viel, war gebildet, und man konnte mit ihm reden. Er versuchte, Freiräume zu schaffen, das muß bei allen anderen Dingen gesagt werden, die es gegen ihn vielleicht zu sagen gibt. Warum er das machte, weiß ich nicht. Jedenfalls war er es, der die Übersetzungspraxis in der DDR gründlich erneuerte. Nach seinem Dienstantritt vervielfachten sich ausländische Titel in der DDR, es war, wie wenn eine Tür aufging. Und wenn ein Autor Schwierigkeiten mit einem lesenden Parteibeamten bekam, so bemühte sich Höpcke um Vermittlung. Daß er dabei auch Kontrolldienste leistete, wie Erich Loest sie beschreibt, der zu den vom System buchstäblich geschundenen Autoren gehört, ist ebenso unleugbar. Ich betrachte Höpcke - in Ermangelung besserer Erkenntnisse - als den Mann mit den berühmten zwei Seelen in einer Brust.

Zu 5. Seit der Vereinigung ist die Zensur des Ostens - die im übrigen eine mickrige Kopie der in der Sowjetunion üblichen Zensur war, wie überhaupt das ganze System ja ein von der sowjetischen Besatzungsmacht oktroyiertes gewesen ist, was heute interessanterweise kein Politiker mehr auszusprechen wagt, weil man (wie Herr Fischer damals die Chinesen) heute die Russen nicht verbiestern möchte und außerdem auf die Märkte da drüben scharf ist, bevor die Konkurrenz aus Übersee hinkommt! -, diese Zensur des Ostens ist der Manipulation des Westens gewichen. Wie überall in der Welt gibt es keine Beschränkungen in dem, was man schreibt, der Ärger fängt auch nicht beim Druck an, sondern beim Verkauf. Anpassung ist gefragt. Ost-Autoren sind in einer gewaltigen Aktion von publizistischem Terror sozusagen aus dem Rennen geworfen worden. Man hat ihnen öffentlich bescheinigt, sie wären in ihrer Mehrheit vom Sozialismus angekränkelt und sozusagen Pfui. Einige hat man selektiv übernommen. Aber die hatte man vorher schon. Ironischerweise mit Einwilligung der DDR. Ich verstehe, daß westdeutsche Autoren die Konkurrenz so vieler Ost-Autoren förmlich fürchten, zumal letztere unter ungleich schwierigeren Bedingungen ihren Beruf ausfüllten und erzählen gelernt haben. Im Vergleich zu manchem, was sich im Westen des Landes Autor nennt - besser. Unterstützt wird das durch die monopolisierten Verlage, die kaum Ost-Autoren verlegen. Wenn ich nichts Besseres zu tun hätte, würde ich einen Sammelband mit gleichförmigen Ablehnungschreiben von Westverlagen an Ost-Autoren herausgeben.
  Die Ost-Verlage sind kaputtgemacht von der Treuhand, sie können für ihre alten Autoren mit wenigen Ausnahmen nichts mehr tun, existieren nur noch auf dem Papier. Das letzte Glied in der Kette sind die Buchläden. Da kaufen die Großunternehmen des Westens die Regalfläche auf, bieten günstige Konditionen an, und so kommt es, daß man, wenn man in einer Buchhandlung z. B. nach einem bestimmten Ost-Autor fragt, die stereotype Antwort bekommt: »Den haben wir nicht gelistet. Aber wir könnten ihn bestellen, wenn Sie ihn haben wollen.«
  Bücherkauf auf Bestellung. Keine Rezensionen, keine massive Reklame wie für den Konsumramsch der Großverlage. Manche Autoren weichen, um wenigstens ein bißchen Nestwärme zu spüren, auf obskure Kleinstverlage aus, jene Symbole verlegerischer Freiheit, die allerdings für die veröffentlichte Meinung bedeutungslos sind.
  Ich habe unlängst von einem Kollegen gehört, daß er die Zensur in der DDR für ehrlicher gehalten hat, verglichen mit dem, was da über uns gekommen ist. Aber er sagte auch - etwas ironisch - dazu, dies sei wohl der Preis der Freiheit. Eine Floskel, die man bei uns relativ oft hört, heute. Und die, wenn Sie mich fragen, etwa soviel Gewicht hat, wie wenn ein Engländer einen anderen fragt: »How do you do?« Gar keins nämlich.