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Das Harry Thürk - Fortsetzungsinterview

Da bis zum Tode Harry Thürks regelmäßig Leseranfragen im HTF eintrafen, war im Juli 2003 (v2.1) dieses Fortsetzungsinterview ins Leben gerufen worden. Hier finden Sie eine Auswahl der interessantesten Leserfragen an Harry Thürk. Im Mai 2006 (v5.4) wurden die letzten Fragen, die Thürk noch zu Lebzeiten schriftlich beantwortet hatte, veröffentlicht und das Interview endgültig eingestellt.
Übrigens: Eine Auswahl der Interviewfragen, sowie einige hier nicht veröffentlichte Texte, wurden Ende 2004 im Spotless-Verlag Berlin unter dem Titel "Treffpunkt Wahrheit" herausgegeben. Preis: €5,10.



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Herr T. O. aus L.:
Ich bin begeisterter Sammler Ihrer Bücher und habe auch schon alle, bis auf eines. Dieses eine fehlt mir noch und ich habe es leider auch noch nie gesehen. Sein Titel: "Martin Weikert - Das Leben eines Kämpfers". Ich bin seit Jahren verzweifelt auf der Suche nach dieser Rarität und auch andere Sammler konnten mir keine Auskunft geben. Bitte geben Sie mir einen Rat, wo ich dieses Buch bekommen kann, oder zumindest genauere Angaben, da ich außer dem Titel gar nichts über das Buch weiß.

Harry Thürk:
Ein Buch "Martin Weikert - Das Leben eines Kämpfers" stammt nicht aus meiner Feder. Ich habe das auch nie gesehen. Wenn es tatsächlich existieren sollte, dann hat jemand meinen Namen unbefugt benutzt.
Weikert kannte ich, man hatte mich auf einem Empfang in Erfurt mit ihm bekannt gemacht. Aus einigen Bemerkungen spürte ich, dass sein Lebenslauf sehr interessant war, und ich nahm mir vor, später einmal über seine Zeit als slowakischer Partisan zu schreiben. Ich hatte damals aber sehr viele dringliche Arbeiten zu erledigen, so dass viel Zeit verging. Ein Kollege, der damals ebenfalls Weikert kennenlernte, Dietmar Beetz aus Erfurt, interviewte ihn und schrieb dann das Buch "Weißer Tod am Chabanec", einen Roman. Das war 1979. Ich habe ihm Ihre Frage vorgelegt. Auch er kennt einen solchen Titel nicht.


Herr K. aus K.:
Warum wurde der berühmte kommunistische Kundschafter Dr. Richard Sorge hingerichtet? Die Antwort scheint klar: für Spionagetätigkeiten. Aber für wen? In Japan wurden lediglich Japaner für Spionage mit dem Tode bestraft, später auch Bürger von Feindnationen. Als Deutscher war Sorge jedoch Bürger eines Verbündeten und auch als russischer Spion war er immerhin Bürger eines damals neutralen Landes. Warum wurde er also gehängt? In Anbetracht der politischen Lage war den Japanern 1944 doch daran gelegen, um jeden Preis den möglichen russischen Angriff (der 1945 erfolgte) zu vermeiden. Warum provozierten sie dann die UdSSR, indem sie Sorge hinrichteten, statt ihn auszutauschen?

Harry Thürk:
Die während des Kalten Krieges zur Routine gewordene Masche, dass der Held der einen Seite zum Trunkenbold und Frauenjäger der anderen abgestempelt wurde, ist im Falle Sorge voll zur Anwendung gekommen. Inzwischen ist diese Methode geschrumpft und läuft noch zwischen den Propagandisten der einen Weltanschauung gegen Vertreter der anderen ab. Dass man Sorge trotz der Bestimmung "nur Todesstrafe für japanische Spione" hingerichtet hat, habe ich bisher dem Umstand zugeschrieben, dass Sorge nicht nach Zivilrecht verurteilt wurde, sondern nach Kriegsrecht.
Dass 1945 die UdSSR Japan den Krieg erklärte, das sehen Sie völlig richtig, es geschah unter anderem aufgrund der Abmachung, die von Roosevelt, Churchill und Stalin über die Gebietsveränderungen zugunsten der UdSSR in Osteuropa getroffen wurde, aufgrund der die zwischen Stalin und Hitler 1939 ausgemachte "Interessengrenze", mit der Polen geteilt worden war, für die UdSSR erhalten blieb und anerkannt wurde. Außerdem hatte Stalin natürlich Interesse am japanischen Industriepotential der Mandschurei. -
Was Sorge betrifft, so habe ich eine ähnliche Frage im Hinterkopf, wie sie mich (und eine Menge anderer Landsleute) im Falle Ernst Thälmanns bewegt: auch er hätte durchaus von Stalin bei Hitler "freigekauft" werden können, die Umstände waren ähnlich günstig. Stalin legte wohl keinen Wert darauf, dass ein Mann mit den internen Kenntnissen wie Sorge überlebte. Das war "unerwünschtes und unkontrollierbares Wissen". Unbequem. Solche Gefahren pflegte Stalin kurzerhand zu eliminieren, auf seine Art. -
Zur Erinnerung (nachzulesen in der exzellenten Dokumentation über den Rechtsanwalt Halle in dem Buch von J. Schwarz bei GNN): Anwalt Halle, der Thälmann vertrat, überbrachte Stalin die (mehrfache) Bitte, diesen im Rahmen seiner "Politik der guten Nachbarschaft" 1938/39 aus dam KZ Buchenwald nach Moskau emigrieren zu lassen.
Stalin reagierte darauf, indem er Anwalt Halle nach Moskau einlud. Der wurde dort verhaftet und erschossen. Thälmann war in Moskau unerwünscht...
So tragisch es auch ist - auf so banale Weise vollzog sich in bestimmten Phasen der Geschichte Weltpolitik...


Herr P. in O.:
Ich lese gerade Ihren Roman "Die Stunde der toten Augen", über deutsche Soldaten im 2. Weltkrieg. Wie finden Sie die neue Rolle der deutschen Soldaten als internationale Krisenstreitkräfte?

Harry Thürk:
Sie treibt mir nicht gerade Freudentränen in die Augen. Meine Bedenken gegen das Herumschicken von deutschen Waffenträgern in der ganzen Welt, wie es jetzt von der Institution praktiziert wird, die sich immer noch "Verteidigungs"-Ministerium nennt, sind bekannt. Außerdem bin ich zugegeben etwas langsam in einer Disziplin, die "weltanschauliche Modernität" genannt wird. So hat es eine ganze Weile gedauert, bis ich begriff, wie "richtig" es ist, dass die regierende deutsche Linke nicht mehr Politik für Unterprivilegierte macht, sondern sich für die globale Freiheit des wohltätigen internationalen Großkapitals einsetzt. Und für die der deutschen Steuerflüchter.
Auch die geistige Modernisierung der frühlingsfarbenen Hilfspartei, deren inzwischen mitregierender Begründer einst am Boden liegenden Polizisten mit Fußtritten in die Rippen ernstzunehmende Hinweise über seine Vorstellungen von Politik gab, ist mir inzwischen etwas begreiflicher. "Umdenken" geht bei manchen Leuten schneller als bei mir, Herr P., deshalb hat sich noch keine reine Freude über die "neue Rolle" unserer jungen Landsleute eingestellt. Obwohl ich durchaus interessiert beobachte, wie sich die Wertvorstellungen da wandeln, nicht nur in Deutschland. So ist ja das gute alte britische "Right or wrong, my country" ("Recht oder Unrecht, mein Vaterland") längst dem viel praktischeren "Right or wrong, my job" gewichen. In der Tat muss man eben Verständnis dafür aufbringen, wenn ein Arbeitsloser erklärt: "Ihre Bedenken sind mir schnuppe, ich brauche einen Job, und wenn es den bei den Soldaten gibt, können sie mich auch zum Nordpol schicken, Hauptsache sie bezahlen, der Rest ist nicht mein Bier!"
Ich hoffe, es ist nicht nur ein Gerücht, dass demnächst ein Buch herauskommt, als Leitfaden für diese Problematik, mit dem Titel "Töten im Einklang mit den Menschenrechten". Das wäre doch sehr verdienstvoll, nicht wahr? Wenn Sie noch ein wenig Muße haben, erzähle ich Ihnen eine Sache, die sich lustig anhört. Ob sie es ist, können Sie selbst entscheiden.
Ein Schulkamerad, der konkurrenzlose Spaßvogel unserer Klasse, schickte mir neulich den Text eines Liedes, den wir (es war um 1939 herum!) zu lernen hatten:
"Graue Kolonnen
ziehen in der Sonne
müde durch Heide und Sand.
Neben der Straße blühen im Grase
Blumen am Wegesrand.
Blumen am Wege, wie blüht ihr so schön, aber wir dürfen nicht stillestehn, denn wir marschieren in Feindesland."
Und dazu schreibt mir dieser Spaßvogel: "... Das mit dem Feindesland geht nicht mehr. Tu mal was, du Dichter, reime das neu. Rauskommen müsste etwas wie '... wir marschieren in terrorismusgefährdetem Sicherheitsgebiet am deutschen Hindukusch...' oder so ähnlich. Hauptsache, es reimt sich. Los, mach, wozu bist du Dichter! Kannst vielleicht eine Menge dabei verdienen und mir einen neuen Rollstuhl spendieren..."
Natürlich will dieses Lästermaul mich nur veralbern. Aber er beweist mir, dass auch andere Leute ähnliche Erinnerungen haben wie ich und ähnliche Vergleiche ziehen. Dass es ihnen schwerfällt, sich auf manches einen Reim zu machen...
Verzeihen Sie, lieber Herr P., den Tonfall, in dem ich Ihnen bis jetzt geantwortet habe. Aber es fällt mir tatsächlich immer schwerer angesichts der Phrasen, die aus den Drechselwerkstätten unserer medialen Einrichtungen für Volksaufklärung und Vordermann kommen, noch ernst zu bleiben: neue Rolle, neues Denken, neue Weltordnung, neue Zeit, neue Maßstäbe, neue Verpflichtungen, neue Zukunftsperspektiven... Ich kann dieses auf gedächtnislose Trottel gezielte Bla-Bla nicht mehr hören, ohne dass automatisch meine Lachmuskeln in Bewegung geraten. Wobei ich seine Gefährlichkeit für arglose Gemüter unter unseren Landsleuten keineswegs übersehe. -
Ein ernstes Wort zum Schluss: Ich wünsche Ihnen nach der Lektüre von "Die Stunde der toten Augen" ein scharfes Gehör, wann immer Ihnen einer mit Phrasen kommt, bei denen "neue" am Anfang steht. Sie werden die Erfahrung machen, dass es sich da meist um lediglich aufgemotzte alte Hüte handelt. Sehr alte..!


V. K. aus K.:
Was sagen Sie zu den Spekulationen, laut denen bedeutende NS-Henker wie Hitlers Sekretär Martin Bormann, der Gestapo-Chef Heinrich Müller und der Reichskommissar der Ukraine Erich Koch im Solde der Sowjets standen und Stalins Agenten waren? Darüber schrieben unter anderem General Reinhard Gehlen, der österreichische Autor Hugo Manfred Beer und sogar die Zeitschrift FOCUS im Herbst 1995. Andererseits schrieb der Amerikaner Gregory Douglas ein ganzes Buch darüber, dass Gestapo-Müller nach dem Krieg in Amerika lebte und mit der CIA zusammenarbeitete. Was ist das alles Ihrer Meinung nach: bloße Sensationssuche oder steckt ein Körnchen Wahrheit darin?

Harry Thürk:
Darüber, dass Bormann, Müller und Koch Agenten Stalins waren, liegen mir keine Erkenntnisse vor. Auch wenn General Gehlen sich in dieser Hinsicht äußerte - Beweise legte er nicht vor.
Dass Gestapo-Müller in den USA unterkam, ist nicht so sehr verwunderlich. Diese Chance hatten auch andere derartige "Größen". Gerechtigkeit in Form von Strafverfolgung geschieht auf dieser Ebene doch sehr selektiv.
Ich erinnere mich, dass wir in dem Vietnam-Bildband "Stärker als die reißenden Flüsse" z.B. das Foto des Stadtkommandanten (der Polizei) von Saigon druckten, wie er gerade einen Vietcong durch Revolver-Kopfschuss tötet. Ein Bild, das um die Welt ging. Der Mörder hat nach 1975 Asyl in den USA bekommen und mir ist nicht bekannt, dass es auch nur eine einzige Anzeige gegen ihn gegeben hätte...


Herr Ba. in Su.:
Ich las Ihre Bemerkungen zu der Betrugsgeschichte, die über die im Irak gewesene US-Soldatin verbreitet wurde. Jetzt höre ich, dass es Zweifel gibt, ob nicht etwa über den gefangenen Saddam Hussein eine ähnliche Betrügerei läuft. Kann sich denn so etwas wiederholen?

Harry Thürk:
Es kann. Bei dem was zur Herbeiführung des Irak-Krieges zusammengelogen wurde, sollte uns das nicht einmal mehr sonderlich überraschen.
Es war übrigens der britische "Sunday Express", der erklärte, er habe aus Geheimdienstkreisen erfahren, die Gefangennahme Saddams sei ganz anders verlaufen, als die amerikanische offizielle Schilderung glauben machen möchte. Vielmehr sei da eine sehr persönliche Rachegeschichte mit einem Kurden-Clan im Spiel gewesen, und man habe Saddam ausgiebig präpariert, bevor man mit ihm in die Medien ging. -
Mir persönlich war die von der US-Regierung verbreitete Version von Anfang an suspekt gewesen. Freunden gegenüber sagte ich damals: "Das passt zu schön, um wahr zu sein!" Auch ich hatte ja Miss Lynch und die um sie gewobene Horrorstory noch im Kopf. Es war mir zu einfach: Zu einer Zeit, da offenkundig wurde, dass Präsident Bush und seine Öl-Komplizen die Begründung für den Krieg - von den Massenvernichtungswaffen über die Giftstoffe, die Atombombenfabrikation bis zur Gefährdung Englands durch Raketen binnen 45 Minuten - buchstäblich zusammengelogen hatten, und Bush nun in die lahme Beteuerung flüchten musste, die Welt sei ja durch die Abschaffung Saddams besser geworden, es sei nicht schade um ihn, musste der auf die Lügen hereingefallenen Welt ein Saddam präsentiert werden, bei dessen äußerem Anblick das neue "Argument" schon eine gewisse Wirkung versprach. Es kam fraglos aus der Küche der Polit-Reklame, denn es stank schon von weitem danach: Da haben wir diesen dreckigen, verwahrlosten, von allen ehemaligen Freunden verlassenen Kerl, der sich unrasiert und ungekämmt in einem Erdloch "vor unserer Gerechtigkeit verkriechen" musste: Selbst der Koffer mit der halben Million Dollars konnte ihn nicht mehr davor bewahren, dass "der starke Arm unserer Strafe" ihn erreichte...
So hörte sich das ja an. Eingeklemmt sei er in diesem Loch gewesen. (Wie man sich in einem Erdloch einklemmt, das gehört vielleicht zu den Übersetzungsfehlern, die u.a. auch schon die "Rosenholz-Papers" so erheiternd machten!) Und dann war ja auch gleich ein Fotograf da gewesen, der den Akt des Herausziehens aus dem Loch festhielt, offenbar ohne die Befürchtung, dass es in dieser Gegend der Selbstmordattentate eine Bombe geben könnte, die in die Kamera explodiert - ich muss gestehen, ich lächelte damals über die Bastler, denen diese Idiotengeschichte gelungen war. Aber je öfter ich nun das Porträt dieses bärtigen, wirrhaarigen Ex-Feindes der USA und Bedrohers der gesamten westlichen Welt in den folgsamen Medien sah, die meist nicht erwähnten, dass die irakischen Ölquellen inzwischen zum Machtbereich der US-Army gehörten, wurde ich an Porträts erinnert, die braune deutsche Meinungsvergifter in meiner Jugendzeit über Juden und "slawische Untermenschen" zusammenstümperten. Mit leider tödlichem Erfolg. Da wimmelte es in den Blättern von krummnasigen, langhaarigen Köpfen, die den "ewigen Feind Jude" darstellten, und von Slawen mit Löffelohren und gefletschten Zähnen! Dass mir als einem vielleicht etwas zu alt gewordenen Zeitzeugen diese Erinnerung kam - wen das wundert, den sollte man am besten mit einer US-Lizenz zum Töten irgendwohin schicken, wo er Leute erschießen darf, zu etwas anderem scheint er mir nicht brauchbar. -
Lieber Herr Ba., nicht alle wissenschaftlichen Errungenschaften der Menschheit, nicht alle technischen Geniestreiche sind dem Fortschritt der Gattung Mensch dienlich gewesen, jedenfalls nicht ausschließlich. Man denke nur an Nobels Dynamit, an das Atom, das Gen. Und die ehrbare Disziplin der Psychologie macht da keine Ausnahme. Sie wird heute in einem Maße gegen das Wohl anständiger Bürger instrumentiert, das äußerst besorgt macht. Mit ihr als Hintergrund etablieren sich immer mehr Dienstleistungsbranchen, die von Angang an kriminell sind oder es ganz schnell werden. Darauf möchte ich im Zusammenhang mit der Frage Ihre Aufmerksamkeit lenken. Urteilen Sie selbst.
Ich persönlich will nur noch anmerken: Über psychologische Kriegsführung wird viel gesprochen und geschrieben. Es wird höchste Zeit, sich mit der psychologischen Kriegs-Herbeiführung zu beschäftigen!


Herr T. O.:
Nach 1945 wurden Süd-Sachalin und die Kurilen durch die SU besetzt. Geschah dies im Einklang mit dem Völkerrecht bzw. wie gelagert waren dort die Übereinkünfte mit den West-Alliierten? Welche Rolle spielt diese Problematik heute für das Verhältnis zwischen Japan und Russland?
Ferner würde ich gern mehr über die Besetzung der südwestlichen Aleuten-Inseln (Attu, Kiska und Agattu) 1942 erfahren. Welche Ziele verfolgten die Japaner damit - ging es möglicherweise um mehr als um das Prestige, ein winziges Stück USA besetzt zu halten? Welche Rolle spielte die Insel Guam im 2. Weltkrieg als Internierungsort? Letztere Fragen beziehen sich auf das Buch "Nördlich der Sonne" von Fred Hatfield, der allerdings einräumt, dass seine Recherchen in den USA recht erfolglos waren.

Harry Thürk:
Bei der Besetzung Süd-Sachalins und der Kurilen durch die SU spielte - ähnlich wie bei Besetzungen und Gebietsabtrennungen im Gefolge des 2. Weltkriegs in Europa - das Völkerrecht keine Rolle. Die Alliierten entschieden da aus eigenem Ermessen.
Die Sachalin- und Kurilen-Problematik hat bis heute auf das Verhältnis Japans zu Russland negative Auswirkungen, zumal auch ein angeblich auf dem Weg zur Demokratie befindliches Russland sich in dieser Frage taubstellt. Es betrachtet diese Gebiete (ähnlich wie in Europa in ihren Besitz gelangte Kunstobjekte) als "Kriegsbeute", was immer man im 21. Jahrhundert von diesem archaischen Begriff halten mag. -
Mit ihren Aktivitäten um Attu, Kiska und Agattu herum im 2. Weltkrieg verfolgten die Japaner nach meiner Meinung das Ziel, die USA zur Verlegung von Verstärkungen dorthin zu veranlassen, was ihre Kräfte an anderen Stellen schwächen sollte. Ich halte diese Aktion, über die es kaum verlässliche Dokumente gibt, alles in allem für eine wenig durchdachte Nebenhandlung.
Das von Ihnen zitierte Buch über Guam von Fred Hatfield kenne ich nicht. Im Rahmen meiner eigenen Recherchen habe ich mich mit Guam als Internierungsort nicht beschäftigt, daher verfüge ich in dieser Sache nicht über erwähnenswerte Kenntnisse.


Herr Gw. in W.:
Auf Besuch in meiner Heimatstadt Weimar kaufte ich Ihr Buch über den Zwiebelmarkt und erfuhr, dass Sie in der Stadt leben. Nach langem Aufenthalt in fremden Ländern bin ich erschüttert über den Niedergang Weimars: Bettler auf Zeitungen in der Schillerstraße, Obdachlose, Suppenküche, Überfälle...
Schriftsteller sind doch scharfe Beobachter, deshalb frage ich Sie. Wie konnte es dazu kommen?

Harry Thürk:
Schriftsteller, lieber Herr Gw., sind in jeder Gesellschaft nicht nur scharfe sondern auch unangenehme Beobachter. Was bei Ihnen noch Bestürzung ist, das ist bei mir bereits Ratlosigkeit: die Stadt ist in einer schlimmen Lage, und Aussicht auf Besserung ist nicht zu erkennen, jedenfalls nicht in absehbarer Zeit. (Sehen wir mal von den professionellen Gutschwätzern ab, die zur Aufmunterung der Leute immer wieder mal von "Signalen des Aufschwungs" oder Ähnlichem schwafeln, während die Frau mit den krummen Fingern, am Frauentor auf dem Pflaster hockend, weiter auf ihrem Akkordeon "Junge, komm bald wieder..." zu spielen versucht, einer zweistelligen Prozentzahl von Arbeitslosen weiter Jobs fehlen, und Kinder in der Schule einen Deutsch-Unterricht genießen, der diese Bezeichnung nicht mehr verdient).
Es sind dies alles Erscheinungen, die meine Generation aus den Jahrzehnten der DDR-Zeit, in der wir gewiss auf manches verzichten mussten, nicht kennt. Weil es diese Erinnerung gibt, wird von den heutigen Regierern in schier verzweifeltem Eifer selbst noch der lächerliche West-Wasserhahn Honeckers als Attribut des "Unrechtsstaates" vorgeführt, um Leute zu bremsen, die sagen könnten, es ging ihnen damals nicht so dreckig wie heute. Tut es jemand trotzdem, wird er sogleich von einem der dienstbaren "Aufarbeiter" - so erzählte es mir erst unlängst ein Bekannter - darüber belehrt, dass er gefälligst die freie Demokratie von heute nicht mit dem "Verbrecherischen Regime von Gestern" vergleichen solle.
Mein Bekannter stellte dazu mir gegenüber fest, ideologische Betonköpfe habe es früher auch schon gegeben, mit ihnen über Realität zu sprechen, sei heute so unmöglich wie damals...
Damit wollte ich Ihnen eine Vorstellung von der Stimmung geben. Sie entspricht der Lage.
Wie es dazu kommen konnte, fragen Sie, Herr Gw. - Nun, das Geld in den Staatskassen ist knapp geworden, obwohl man es immer weiter mit vollen Händen um sich wirft. Die Regierer sind des Denkens unlustig, sie lassen Berater für dreistellige Millionenbeträge das tun, wofür eigentlich sie bezahlt werden. Das summiert sich. Dazu kommt eine schon kaum noch vorstellbare Korruption. Unnütze Experimente, mit denen sich Wichtigtuer ins Licht spielen wollen, verschlingen horrende Summen. Und: deutsche Soldaten vom Hindukusch über das Horn von Afrika bis auf den Balkan - die Demonstration einer angeblichen Weltbedeutung, einer "Spitzenposition", eines "Wir sind wieder an den historischen Entscheidungen in der Welt führend beteiligt", immer schon Zwangsvorstellungen deutscher politischer Kleingeister, das alles kostet viel, viel Geld. Die Großverdiener haben ihr Kapital längst Dank der Globalisierung im fernen Ausland in Sicherheit gebracht. Deshalb lässt die Regierung nun von ihren Propagandisten die Parole verbreiten, jeder Bürger müsse finanziell dazu beitragen, dass der Staat wieder flüssig wird. Sparen wird das genannt. Abbau sozialer Errungenschaften ist es in Wirklichkeit. Es trifft die Alten, Kranken, Arbeitslosen, alle jene, die ohnehin wenig haben. Ganz gewiefte Täuscher haben dafür auch noch den Begriff "Reform" in Dienst gestellt...
Lieber Herr Gw., wir alle haben wohl vor langer Zeit schon erkannt, dass die Demokratie die erstrebenswerteste aller Staatsformen ist. Allerdings - die Demokratie ist die eine Seite der Medaille, ihre Betreiber, das Personal, das sie lenkt, das ist die andere! Nichts könnte diese Erkenntnis besser vermitteln als das, was Sie bei Ihrem Besuch in Weimar zu sehen bekamen: Armut wird in Kauf genommen.
Für die Zukunft fürchte ich, dass die Situation der Leute, die ohnehin knapp dran sind, noch prekärer wird. Wir werden erleben, dass heute schon existierende Gräben zwischen Arbeitenden und Arbeitslosen, Alten und Jungen, Kranken und Gesunden, diätenversorgten Politikern und ohnehin sparsamen, aber nun noch zusätzlich belasteten Rentnern tiefer werden. Ich gestehe Ihnen, dass ich mich dem allem gegenüber wehrlos fühle. Ich hätte nie für möglich gehalten, dass es in einer Demokratie dazu kommen kann. Leider hat mich die Realität eingeholt. Uns alle. Auch Weimar. Und ich kann in "Sparen" und "Reformen" keinen Ausweg erkennen.
Es tut mir leid, lieber Herr Gw., dass ich Ihnen nichts Ermutigenderes zu sagen in der Lage bin.


Herr Fü. aus W.:
Ich möchte Ihnen den Titel mitteilen, den ich für meine Doktorarbeit gewählt habe und Ihre Meinung dazu erfragen. Der Titel lautet: "Die Globalisierung von präventiven Flächenbombardements als Voraussetzung für weltweiten Zugewinn an Menschenrechten und demokratischer Gesinnung unter dem spezifischen Aspekt der Schaffung neuer Arbeitsplätze durch natürliche Reduzierung der Anwärterzahl." Meinen Sie, ich werde damit Erfolg haben?

Harry Thürk:
Beim "Eulenspiegel" ganz sicherlich!
Lieber Herr Fü., ich verstehe Ihren bitteren Sarkasmus schon richtig. Er erinnert mich an die Jubiläumsveranstaltung des Münchener Kabaretts "Lach- und Schießgesellschaft", die ich vor einiger Zeit im TV sah. Eine unvergessliche Nummer daraus war, wie die Akteure sich dort darüber klar wurden, dass sie beruhigt in Rente gehen können, schließlich sei alles was sie an Unglaublichkeiten angekündigt hätten, auch eingetreten. So hat in Deutschland die Realität die Satire eingeholt. In unserer Wirklichkeit geht es zu, wie vor einiger Zeit im Kabarett. -
In diesem Sinne, Herr Fü., hoffe ich für Sie, dass die "sicherheitsorientierte Reformgesellschaft" nicht etwa Ihren Titel als "Agenda" nutzt! Zuzutrauen wäre es ihr...


Horst B. (K.):
Lieber Harry, wir sahen uns gelegentlich in Vietnam, während des Krieges. Ich höre jetzt von der Abschiebung des vietnamesischen Jungen Don aus Thüringen. Was hältst du davon? Hätte das nicht anders geregelt werden können?

Harry Thürk:
Es hätte überhaupt nicht geschehen dürfen. Man hat diesem Zwölfjährigen, der in Deutschland geboren wurde, eines seiner wichtigsten Menschenrechte geraubt, das Recht auf Heimat. Es hat mich empört, besonders die Kaltschnäuzigkeit, mit der hier vorgegangen wurde, indem man "das Gesetz" vorschob. Selbst der christliche Ministerpräsident versteckte sich dahinter. Als wüsste er nicht, was in Deutschland schon alles mit "dem Gesetz" bemäntelt wurde, "... dem eben Genüge getan werden muss ..."
Und das alles in einer Zeit, in der unsere schulmeisterlich ambitionierten Landsleute aus dem Westen nicht müde werden, uns immer wieder vorzuschwätzen, wie ungeheuerlich falsch es doch von uns "Ossis" war, die Gesetze der DDR zu befolgen! Ich glaube, die Lügenpraxis und die schamlose Heuchelei, aus denen heute Weltpolitik besteht, haben die letzten guten Sitten auf der unteren Ebene endgültig verdorben. Auch hier wird, wie "ganz oben", nur noch ohne den geringsten Skrupel gelogen, und die großen moralischen Werte, wie das Menschenrecht auf Heimat, sind nur noch Material für wohlfeiles Bla-Bla. Wie sonst sollte man einordnen, was da seit langer Zeit immer weiter geschieht?
Amerikanische (!) Statistiken weisen den Irak-Krieg als 69. (kein Druckfehler!) "bewaffnete Intervention" (d.h. Krieg) der USA seit dem 2. Weltkrieg aus. 16 Millionen Tote waren das Ergebnis. Und nicht einmal die UNO denkt daran, etwa die USA wegen der ganz offensichtlichen Kriegsverbrechen anzuklagen. Im Gegenteil, sie deckt sie, indem sie mit sanfter Stimme fleht, jetzt doch nicht über "Vergangenes" zu diskutieren, "jetzt kommt es darauf an, den Menschen dort zu helfen." Wirklich? Wer, so wird man fragen dürfen, entscheidet eigentlich darüber, was "jetzt" wichtig zu tun ist? Leute, die sich stillschweigend damit abfinden, dass die USA den Internationalen Gerichtshof in Den Haag einfach ignorieren, während dort in jahrelanger, haarspalterischer Arbeit mit riesigem Aufwand Kriegsverbrechen vom Balkan verhandelt werden, bei denen insgesamt etwa eine Opferzahl in Frage steht, die ein einziges US-Flächenbombardement in zehn Minuten verursacht?
Lieber Horst, ich mache mir immer wieder Gedanken über die Welt, in der wir leben, und über die Frechheit der Schwadroneure, die händeringend selbst die lächerlichsten Verfehlungen einstiger Gegenspieler einmal ums andere zu grausigen Untaten aufbauschen, um die eigenen Ungerechtigkeiten, die hinterhältigen Lügen und "gesetzlich notwendigen" Verletzungen von Menschenrechten zu bemänteln. Wie im Falle des vietnamesischen Jungen Don etwa. Da muss selbst die tiefbraune Sippenhaftung noch zur Rechtfertigung herhalten: Der Vater des Jungen habe gegen das Gesetz verstoßen, auch deshalb die Ausweisung! (Er hat das Staatsverbrechen begangen, unverzollte Zigaretten zu verkaufen.) Eine wahrhaft christliche Begründung. -
Wir beide wissen, dass allein der US-Krieg gegen Vietnam dort drei Millionen Tote verursachte. Sowie eine weitere Million lebenslang invalider Leute. Nicht zu reden von den durch US-Giftchemikalien verursachten Opfern. Föten ohne Gliedmaßen etwa, die man dort sehen kann, wo US-Flugzeuge das Gift versprühten, mit dem "die Kommunisten" ausgerotten werden sollten, wie man ganz offiziell erklärte.
Ebenso offiziell wie man heute erklärt, der Irak-Krieg sei allein dadurch schon gerechtfertigt, dass Saddam "die Absicht hatte, Massenvernichtungswaffen zu erwerben".
Was für eine Welt: Hier ein paar Millionen Tonnen echte Agent-Orange-Giftlösung, vom Gewissen der Öffentlichkeit sozusagen mit artig gezogenem Hut zur Kenntnis genommen, als unabänderlich, und dort ein Junge, dessen Vater das menschheitsgefährdende Gewaltverbrechen beging, Zigaretten zu zuckeln, und auf den daher das christliche Gesetz des Rauswurfs unerbittlich angewendet werden muss - ist das mit einem normalen Hirn überhaupt noch zu erfassen?
Lieber Horst, ich erinnere mich, wie uns vor 25 Jahren, als in Phnom Penh ein Tribunal gegen den Millionenschlächter Pol Pot und seine Bande lief, der Mann in der Hinrichtungsstätte im Lyzeé Tuol Sleng die tausende von dort aufgesammelten Brillen der Ermordeten zeigte. Wie er uns bedrückt mitteilte, die Vertreter des Mörderregimes Pol Pot repräsentierten in der UNO aber weiterhin Kambodscha, und zwar im Einklang mit deren Regeln und der Zustimmung der Supermächte. Du fragtest damals entgeistert: "Schämen sich die Verantwortlichen dort nicht?"
Sie schämten sich damals nicht, und auch heute fehlt ihnen jegliche Scham. Ebenso wie die Anwender des ehernen Gesetzes gegen den durch bewaffnete Polizisten zum Abschub eskortierten Zwölfjährigen ganz offenbar keine Scham kennen.
Mir persönlich bleibt da nur die Frage: Hat sich in das Gesetz Ungerechtigkeit eingeschlichen? Oder ist Ungerechtigkeit zum Gesetz geworden?
Wir beide gehören noch der Generation an, die an den "Dank des Vaterlandes" glaubte, der dann zur Lachnummer in den Kabaretts wurde. Gegen den Rauswurf des vietnamesichen Jungen haben sich viele Stimmen erhoben, auch beide großen Kirchen sind darunter. Wie ich den Opportunismus von Politikern kenne, wird man "die Sache entschärfen". Aber ich gestehe dir, ich sehe die Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft trotzdem den gleichen Weg nehmen, wie ihn der "Dank des Vaterlandes" ging. Leider...


Herr S. in W.:
Ich bin Schüler. Ein Freund, der aus Vietnam stammt, und der diesjahr dort Verwandte besuchte, erzählte mir von einer Ausstellung, die dort läuft, und in der erklärt wird, was das Gift, das US-Flieger dort abwarfen, für Spätfolgen bewirkt. Wissen Sie mehr darüber? Stimmt das mit dem Gift überhaupt? Oder ist das Propaganda? Sie schrieben viel über Vietnam und den Krieg dort, deshalb frage ich Sie...

Harry Thürk:
Das mit dem Gift stimmt. Die US - Air Force hat während des Krieges, den die Vereinigten Staaten von den späten 50er Jahren bis 1975 erfolglos führten, um sich das "Sprungbrett" zu erhalten, das der Saigoner Halbstaat bot, zwischen 1962 und ihrer Niederlage eine Operation mit dem Decknamen "Ranch Hand" durchgeführt. Dabei wurden auf dichte Waldgebiete, in denen sich angeblich ihre Gegner (Vietcong) versteckten, insgesamt 44 Millionen Tonnen eines chemischen Entlaubungsmittels versprüht, um diese Gegner besser sehen und bekämpfen zu können. Die Anwendung eines solchen Giftes war, wie der ganze Krieg überhaupt, ein Verbrechen gegen das Völkerrecht. Das Gift hatte (und hat heute noch) die Tarnbezeichnung "Agent Orange". Es enthält einen hohen Anteil Dioxin. Bei Menschen, die damit in Kontakt kommen oder es einatmen, ohne das zu merken, erzeugt es Nervenschäden, Krebs, es zerstört die Atmungsorgane. An Spätfolgen treten bei Nachkommenschaft von Überlebenden in hohem Maße Missbildungen extremster Art auf (z.B. Füße, direkt am Bauch angewachsen).
In Vietnam sind Hunderttausende davon betroffen. Aber auch amerikanische Soldaten gehören nach ihrer Heimkehr zu den Leidtragenden. Sie werden "versteckt". Über die ganze Sache wird der Mantel des Schweigens gebreitet, bzw. es wird so laut über angebliche Giftkriegsführung anderer Staaten gezetert, dass die eigene Schuld in dem Lärm untergeht - eine gängige Methode heutzutage.
Die UNO ist wiederholt aufgefordert worden, das Giftkriegsverbrechen der USA offiziell zu verurteilen. Bis heute hat sie das nicht getan. Auch Entschädigungen (in Europa nach dem 2. Weltkrieg Reparationen genannt) wurden nie gezahlt. Soweit die Tatsachen.
Von Rudolf Augstein, dem Begründer des "Spiegel", einem der letzten deutschen Ausnahmejournalisten, gibt es aus einem Gespräch mit Martin Walser im Jahr 1998 die mutige Feststellung: "Der Vietnam-Krieg war ein Verbrecher-Krieg." Er distanzierte sich damit demonstrativ von der feigen Vertuschungspraxis der meisten seiner Medienkollegen, der Jahrgänge wie der Ihre, Herr S., verdanken, dass sie heute per Zufall nur überhaupt davon erfahren.
Ich bin sicher, hätte die DDR-Polizei 1989 auch nur Tränengas angewendet, dann wäre das nicht nur der große Schlager für die Medien gewesen - wir verfügten heute garantiert über eine "Behörde zur Erforschung der Giftgaskriegsführung des ostdeutschen Unrechtssystems".
Kommunistische Widersacher, wie die Vietnamesen es waren, darf man offenbar mit Gift umbringen, ohne dass es die deutschen Medienmacher beunruhigt, die uns so detailliert über den "kommunistischen Zwangsstaat Vietnam" informieren, über die nicht richtig ausgebildeten Bürgerrechte dort, über alles an westlicher Zivilisation, was die Menschen entbehren müssen. Es würde mich nicht überraschen, wenn demnächst ein deutscher Wanderprediger aus der Regierung in Hanoi anmahnt, was da gefälligst zu tun ist.
Lieber Herr S., ich habe als Achtzehnjähriger nach dem 2. Weltkrieg die Chance wahrgenommen, Auschwitz zu sehen. Es war ein drückend heißer Sommertag, und es roch an dieser Mordstätte noch so wie Tod riecht - die nur notdürftig gereinigten Roste der Öfen, die Berge der armseligen Kleidungsfetzen, das Holz der Baracken, selbst die Erde...
Mein Leben hat sich unter diesem Eindruck geändert. In Vietnam, in einem Lazarett, in dem ich selbst behandelt wurde, war ich Zeuge, wie Menschen am Dioxin des amerikanischen "Agent Orange" erstickten. Ihre letzten Laute kann ich ebensowenig aus meinem Gedächtnis streichen, wie das was von Auschwitz darin geblieben ist. -
Deshalb, Herr S., seien Sie auf der Hut, vor den Schweigern ebenso wie vor den Schwätzern. Es sind erbärmliche Wichte, korrumpiert in einem Maße, das einem Ekel einflößt.
Ich wünsche Ihnen, dass Sie im Übrigen von den Lebenserfahrungen der Vietnamesen verschont bleiben. Auch von denen, die meine Generation junger Deutscher machen musste.


Herr Es. in H.:
Ich habe unlängst meine erste Kurzgeschichte veröffentlicht. Sie sind Schriftsteller von Beruf, seit vielen Jahren, und ich höre jetzt, dass Autoren, ähnlich wie Politiker, einen sogenannten Image-Berater haben. Trifft das auch auf Sie zu? Wenn ja, wie läuft das in der Praxis?

Harry Thürk:
Unter Schriftstellern - und da meine ich ernsthafte Literaten, egal in welcher literarischen Gattung sie arbeiten - kenne ich niemanden, der einen solchen Image-Berater hat. Wenn Sie allerdings eine Kategorie von Leuten meinen, die im wesentlichen sich selbst vermarkten, dann trifft das sicher zu. Es sind dies eben keine "Schriftsteller" nach meinem Sprachempfinden, sondern Personen, die vermittels regelmäßiger Präsentation in Boulevardpresse und Fernsehen auf einen Bekanntheitsgrad gebracht worden sind, der sie für die Marktwirtschaft, besonders für deren (steuerbegünstigte) Reklame zum interessanten Objekt macht. Meist sind sie durch gezielten Exhibitionismus zu diesem Rang gelangt. Auf diese Weise kann ja, wie wir wissen, buchstäblich jeder zurückgebliebene Dummkopf, jeder stinkende Zuhälter und selbst noch die letzte Hure zur "prominenten Person" gemacht werden. Für die Werbebranche verkörpert sie dann den sogenannten "Wiedererkennungsfaktor", der gut bezahlt wird. Diese Art von "VIP's" beschäftigt selbstverständlich Berater, die jeden Auftritt (einschließlich der zu tragenden oder abzulegenden Garderobe), auch die einzufordernde Gage minutiös planen. Ein Buch voller "Lebenserfahrungen" oder "Abenteuer" ihres Klienten stellt dann nicht selten die Krönung der Karriere dar. Es bringt viel Geld ein, da es in Deutschland nicht an anspruchslosen Neugierigen fehlt, die solche Schwarten kaufen. Dass die nicht von den "Helden" selbst geschrieben wurden, sondern von arbeitslosen Lohnschreibern, stört sie nicht. Der Umsatz solcher Machwerke ist - bei gleichzeitigem Rückgang der Umsätze von tatsächlicher Literatur - so hoch, dass sie inzwischen ganz regulär als Kunstprodukte gehandelt werden. Es ist dies eine Entwicklung, die mit dem Kunstverständnis der Marktwirtschaft zusammenhängt: was Geld einbringt, ist wertvoll. -
Beratung durch professionell arbeitende Agenturen ist in der Weltpolitik üblich, etwa im Umgang mit schwierigen Staatsmännern, aber auch zum Zwecke der Vorbereitung von Kriegen oder der Blockbildung. Das konnte man beim Jugoslawienkrieg sehen, auch beim Irak-Krieg oder ähnlichen Gelegenheiten. Die Agenturen, die für Milliardensummen hier tätig sind, gehören zu den florierendsten Unternehmungen der Weltwirtschaft.
Das hat eine Hauptursache darin, dass immer weniger Politiker mit Sachverstand aufwarten können, und dass Politik nicht mehr nach Parteiprogrammen oder Wahlversprechen gemacht wird, sondern abhängig von der Publikumswirksamkeit der Führungsgestalten. Besonders in der Innenpolitik kann man das erkennen. Solange er noch ein einigermaßen gutes Image hat, kann der federführende Politiker seiner Lobby jeden Wunsch erfüllen, denn die Leute glauben ihm und lassen sich willig von ihm manövrieren und ausbeuten. Da wird die Wichtigkeit der ausgeklügelten Lenkung politischer Darstellerfiguren sichtbar, und so nimmt es nicht Wunder, dass ihnen bis in kleinste Einzelheiten genau vorgegeben wird, was sie zu tun haben und wie. Von der Begrüßung eines ausländischen Staatsgastes per Handschlag angefangen, über beidhändige Begrüßung bis zur Umarmung, von der Farbe des Anzugs und der Krawatte bis zu scheinbar ganz spontanen Äußerungen, und, und, und ...
Natürlich gibt es dabei Pannen. So rauchte unser Kanzler eine ganze Zeit öffentlich Zigarren, weil das die Vorstellung von einem gemütlichen, väterlichen Typen unterstützt. Bis jemand dahinter kam, dass diese Zigarren ausgerechnet in Fidel Castros "Reich des Bösen" produziert wurden. Da war ganz plötzlich Schluss mit Rauchen! -
Unseren vorigen Verteidigungsminister traf es härter. Beim Jugoslawien-Krieg lag er noch voll "auf Linie", als er zur Befeuerung der Gutmenschen-Kampfbereitschaft die Horrorlegende aus der Psycho-Kiste der US-Kriegseinstimmer herausposaunte, wonach "die Serben" mit den abgetrennten Köpfen kleiner Kinder Fußball spielten und mit Vorliebe schwangeren Frauen die Föten aus dem Leib schnitten, um sie dann zu grillen. (Na, das schreit doch förmlich nach Bombardierung!)
Das Pech für den braven Herrn kam durch einen Denkfehler zustande. Das Geplansche im Pool mit einer Dame, das eigentlich seine ganz normale menschliche Veranlagung zeigen und ihn so sympathisch machen sollte, kippte (wegen noch nicht geschiedener Ehe) ins Gegenteil um. So ist eben professionelle, sehr teure Beratung durch PR-Agenturen oder Consultingfirmen auch nicht unbedingt erfolgsgarantierend!
Nichtsdestotrotz blüht sie als Milliardengeschäft, und sie wäre - mit ihren internen Details, ihrem kriminellen Potential, all den Betrügereien, den Durchstechereien, Abwerbungen kreuz und quer, den Möglichkeiten der Täuschung und Korruption - ein ideales Betätigungsfeld für einen mutigen Dokumentaristen aus dem Schriftstellerstand, der sich zum Ziel setzt, sie von allen Seiten zu durchleuchten und für den nichtsahnenden Mitbürger als das zu entschleiern, was sie ist. Zumal heute ja schon von der Bundesanstalt für Arbeit bis zum Mecklenburger Landtag Aufsichtsgremien Anstoß an den Millionenhonoraren nehmen, die für "Beratung" von den Steuergeldern bezahlt werden. Und es fehlt auch nicht an Kuriositäten in dieser Branche von smarten Wichtigtuern...
Deshalb, Herr Es., am Schluss noch eine solche Unglaublichkeit aus dem internationalen Spielfeld. Sie dürfen sie gern als Ermunterung für ein literarisch-dokumentarisches Vorhaben betrachten, wenn Sie wollen. Oder nur den Kopf schütteln:
In den USA gibt es, von einem ehemaligen Stabschef der Army geleitet, ein Consulting-Unternehmen ganz besonderer Art. MPRI (Military Professional Resources Incorporation) beschäftigt weltweit einige tausend gewesene US-Militärs, meist Offiziersrentner, die gegen gute Honorare Armeen oder Putschtruppen in jedem beliebigen Land bei Ausbildung, Ausrüstungs- und Waffenbeschaffung sowie bei der Kriegsführung beraten. Kein Zweifel, das Pentagon wird von seinen "Ehemaligen" stets über alles umfassend informiert und kann sich je nach Wahl einschalten, wo das für die USA Vorteile bringt.
Bei den honorigen Senioren kommt es vor, dass ehemalige Golfpartner plötzlich gegnerische Armeen "beraten". Sie tun das gewissenhaft. Bis zum Ablachen. (Letztlich entscheidet das Pentagon, wer siegt, und der muss dann natürlich eine Party schmeißen. Auf der wird, wenn nicht anders vorgesehen, der Aufbauhelfer-Berater ausgewählt, für die Seite, die verloren hat!)
Ich kann mir eine größere Farce von "Consulting" nicht vorstellen. Wenn es Ihnen auch so geht, Herr Es., überlegen Sie doch mal, ob das vielleicht ein Thema für Sie wäre.


Herr H. Sch. in E.:
Neuen Ankündigungen zufolge soll ich demnächst Leute anzeigen, von denen ich erfahre, dass sie sich z. B. ein paar Euro verdienen, indem sie bei einem verreisten Nachbarn die Blumen gießen. Was halten Sie von dieser Maßnahme zur Arbeitsbeschaffung?

Harry Thürk:
Lieber Herr H., ich bitte um Entschuldigung, dass ich es nicht höflicher sage: Denunziantentum, wie man es hier verlangt, kotzt mich buchstäblich an. -
Wenn Sie wissen wollen, wie ich bereits als Schuljunge zu dieser Grundeinstellung kam, die sich bis zur Gegenwart nie geändert hat, dann lesen Sie in meinem letzten autobiografischen Buch "Auch überm Jangtse ist Himmel" die erste Story "Wie man sich wiedersieht". Sie wird Ihnen meinen Ekel vor Denunzianten verständlich machen. Damals, als Schuljunge, wurde ich denunziert, weil ich in meiner alten Heimat bestimmte staatliche Regeln der "völkischen Distanzierung", von denen angeblich das Wohlergehen des Landes abhing, nicht einhielt und als dumm bezeichnete.
Um jene Zeit wurde man sofort mit schwerstem Geschütz beschossen, falls man so etwas wagte: "Aha, bei Euch Zuhause wird wohl auch polnisch gequatscht, wie? Und beim Juden gekauft? Jüdische Großmutter vielleicht? Na, wir werden das schon herauskriegen..." -
Meine Abneigung gegen diese barbarische Methode, Anständigkeit und Sitte zu verteufeln, indem man sie als "undeutsch" aus der Gesellschaft verbannte, hatte absolut unpolitisch begonnen. Im späteren Jünglingsalter, nach dem 2. Weltkrieg, suchte ich mir auf der linken Seite des politischen Spektrums meinen Platz. Auch damals und in der Folgezeit, gefördert durch eine Besatzung, der es an Mitteln anderer Art mangelte, Haltungen zu begreifen, und die überall nur Spione, Saboteure und verkappte Gegner sah, blühte Denunziantentum. Ich bin heute stolz darauf, meine Einstellung dazu nicht geändert zu haben. Von mir wurde niemand angezeigt, weil er auf ein Stalinbild einen Kaiser-Wilhelm-Schnurrbart malte, weil er am 1. Mai nicht flaggte, oder weil er mir anvertraut hatte, er würde nach dem Westen gehen (und das waren nicht wenige!). -
Deshalb bin ich auch heute, da man im neuen Gesamtdeutschland von einer Demokratie sprechen kann, nicht bereit, sie zu ändern. Obwohl diese Demokratie von dem Tage an, da wir sie über die DDR gestülpt bekamen, das Denunziantentum sozusagen geadelt hat. Z. B. mit staatlich verwalteten "Akten" untermauert, von denen niemand weiß, wer sie geschrieben hat, und warum. Denunzianten auf dieser (schrägen) Ebene widern mich ebenso an, wie die meiner Kinderzeit, und man bleibe mir mit dem Vorwurf des Nichtvergleichenkönnens bitte vom Hals: Dreck bleibt Dreck!
Wer mir heute zumutet, einen "abgewickelten" Professor der Anthropologie zu denunzieren, weil er sich ein paar Euro verdient, indem er dem behinderten Nachbarn den Rasen mäht, der widert mich an, und daran ändert sich nichts, wenn er noch als Begründung "die Schaffung von Arbeitsplätzen" zusammenphantasiert. Das ist eine so erbärmlich dumme Lüge, wie ein mit Gehirn ausgestatteter Mensch sie nur als Beleidigung auffassen kann. Dass sie von jemandem kommt, der sich als "Linken" bezeichnet, tut mir, dessen Gedanken links laufen, weh.
Nichtsdestotrotz, Herr H., einen Denunzianten wird auch dieser Staat nicht mehr aus mir machen. Und ich habe volles Verständnis für Leute, die in diesem Zusammenhang den alten jüdischen Spruch zitieren: "Den Denunzianten sollte man an seiner Zunge aufhängen!"
Und - a propos jüdische Sprüche: sie haben in ihrer Schatztruhe einen zu der in Deutschland so beliebten Ausrede "Nichtvergleichenkönnens von Birnen und Äpfeln". Er lautet: "Was ist der Unterschied, ob mich der Narr schlägt oder der Weise? Weh tut es doch!"


Frau S. B.:
Wie hat das alles mit den Roten Khmer und Prinz Sihanouk angefangen? Ich lag nächtelang wach und habe über die Ursachen und die daraus folgenden Probleme gegrübelt: Warum hat sich das Volk so etwas gefallen lassen, warum hat man das eigene Volk so gequält, wie hat man es geschafft, von einem Land, das zur Blüte des Wohlstandes erblüht wäre, so einen Scheiterhaufen zu hinterlassen? Haben Sie Kambodscha selbst schon einmal bereist? Und wie kamen Sie dazu, darüber zu schreiben? Kennen Sie vielleicht Querverweise über die Geschichte und politische Entwicklung Kambodschas?

Harry Thürk:
Ich freue mich, dass meine Dokumentation über Kambodscha "Der Reis und das Blut" Sie so sehr bewegt hat. Ich habe sie ja aus dem Grund geschrieben, an Zeitgeschichte interessierte Leser zum Nachdenken und zu Vergleichen anzuregen.
Ja, ich habe Kambodscha (wie es übrigens auf dem Einschlag des Buches vermerkt ist) vor und nach der Pol-Pot-Barbarei besucht, nahm auch an dem im Buch ja erwähnten Prozess teil, den die UN ignorierte. Wie es zu Pol Pots Barbarei kam, das können Sie in dem Buch (Seite 5-15) bitte nochmals in Ruhe nachlesen. Eingehender könnte ich die Geschichte auch hier nicht schildern.
Wenn Sie in Bibliotheken kaum etwas über jene Ereignisse finden, sollten Sie daran denken, dass es letztlich ineinander verhakte, einander zuweilen entgegenkommende oder gegenläufige Interessen der drei größten Weltmächte (USA, SU, China) waren, die Pol Pots Coup indirekt bedingten.
So respektierten die USA sehr wohl die nie offiziell ausgesprochene, aber intern völlig klare Drohung Chinas, sofort in den Vietnamkrieg einzugreifen, falls die USA Nordvietnam zu Lande angriffen. Ähnlich wie im Koreakrieg würde China an seiner "weichen Südgrenze" keinen US-Stützpunkt dulden. Deshalb begnügten sich die USA damit, Nordvietnam aus der Luft zu bombardieren, ebenso wie Gebiete in Kambodscha, in die sich angeblich Vietcong nach Überfällen zurückzogen. Das brachte Kambodschas Staatschef Sihanouk in eine prekäre Lage.
Die wiederum bot der SU, die ja ohnehin interessiert war, sich in dieser Gegend der Welt zu etablieren, die Chance, Sihanouk die Unterstützung des Ostblocks anzubieten, die der auch annahm, zumal er China nicht so recht traute.
Da kam es der chinesischen Führung sehr gelegen, dass eine Gruppe von ultralinken Studenten in Paris den Kampf gegen den "Kapitalisten Sihanouk" zu planen begann. Die jungen Spinner freuten sich über die Hilfe Chinas. Sie bestand nämlich in der Ausbildung von militärischen Kadern und in der Zusage von Waffenlieferungen, sobald sie benötigt würden. Auf diese Weise waren Pol Pot und Genossen von Beginn an Teil der chinesischen Planung. Sie würden den ungeliebten Sihanouk entmachten, den ebenfalls ungeliebten Sowjets ihre Kambodscha-Pläne versalzen, und man hätte an der Westflanke des US-Stützpunktes Süd-Vietnam ein nicht zu unterschätzendes Einflussgebiet, das eine Menge strategischer Möglichkeiten bot.
Solche Zusammenhänge werden im Interesse des Images über sehr feingesponnene Leitungen gern unter den Teppich gekehrt, aus dem öffentlichen Blickfeld hinausmanipuliert. Eine Praxis, die Sie ja heute bei den wesentlich jüngeren Komplexen Jugoslawien, Afghanistan oder Irak wieder beobachten können. Als Neuheit ist hier lediglich hinzugekommen, dass das Wahrnehmungsvermögen des Publikums über einen "Info-Smog" aus Nichtigkeiten abgestumpft wird. (Sie schreiben von "... detaillierten Berichten ..." - ich nenne das "Meisterwerke der geistigen Irreführung". Oder wie soll man die "detaillierten Berichte" über den Atombombenbau in Hindukusch-Höhlen sonst nennen? Über die Massenvernichtungswaffen im Irak?)
Warum, fragen Sie, hat sich das Khmer-Volk so etwas gefallen lassen? Nun, es waren ungebildete, unsichere, unbewaffnete Leute. Pol Pots Kader waren gebildet, bewaffnet, und ihrer Sache sicher. Sie diskutierten nicht. Wer nicht sofort tat, was sie anordneten, den erschossen sie an Ort und Stelle, sofort, vor den Augen der anderen. Unter solchen Umständen verliert das Wort vom "gefallen lassen" jegliche Bedeutung.
Und: Haben Sie einmal nachgedacht, was sich eine gebildete Bevölkerung im hochzivilisierten Zentraleuropa heutzutage alles "gefallen lässt"? Halten Sie "Demonstrationen" die mit bemalten nackten Bäuchen oder Fähnchen im Hintern eher als Volksbelustigung zu werten sind, für angemessenes "sich wehren" gegen Lüge, Sozialabbau und Verarmung? Gegen willkürlich geführte "Präventivkriege", deren Begründung erlogen ist? -
Als Pol Pot Kambodschas Bevölkerung tötete, blieben seine "Diplomaten" übrigens ordentliche Vertreter Kambodschas in der UN. Noch Jahre nachdem die Vietnamesen das Land von ihnen befreit hatten, vertraten aufgrund der UN-Entscheidung diese Pol-Pot-Leute Kambodscha ganz offiziell. Es gab keinen Großmächte-Protest dagegen. (So wie es gegen den Irak-Krieg der USA auch keinen offiziellen Protest der UN gab, nur halbseidene "Ablehnungen", "Verurteilungen" und ähnliches. Ist es nicht jämmerlich, wie da heute, nach mehr als zwei Jahrzehnten, wieder unter den Teppich gekehrt wird? Unter der Devise: "Nicht alte Fehler erörtern, den Blick auf die Zukunftsaufgaben richten!"
Ich rate dazu, wenn Politiker "alte Fehler" als nicht mehr diskussionswürdig bezeichnen und vom "Blick nach vorn" reden, der das sei, "... worauf es jetzt ankommt ...", äußerst misstrauisch zu sein, was ihre wahren Absichten angeht.
Liebe Frau B., ich kann Ihnen leider keine Hinweise über weitere Quellen geben, die Sie suchen. Am besten, Sie wenden sich an Fernost-Institute bei Universitäten und deren Bibliotheken. Dort hat man Übersichten dieser Art.
Mein Buch sollte Sie informieren und zum Weiterdenken anregen. Das ist mir offenbar gelungen und freut mich. Ich wünsche Ihnen Entdeckerglück!


Frau Zw. in Sa.:
Ich war seinerzeit sehr bewegt, als die Geschichte von der Gefangenschaft der amerikanischen Soldatin Lynch durch die Presse ging. Jetzt kam eine Freundin von einer Amerika-Reise zurück und erzählte, das sei alles ganz anders gewesen, es gäbe ein Buch darüber. Wissen Sie Genaueres?

Harry Thürk:
Ja, es gibt ein Buch über Miss Lynch, geschrieben von einem amerikanischen Journalisten. Ob es übersetzt wird, kann ich nicht sagen. Ich hörte auf Kurzwelle die Rezension eines amerikanischen Kollegen. Ziemlich spöttisch machte er sich lustig darüber, dass der Autor sich der undankbaren Aufgabe widmet, eine voll daneben gegangene Heldengeschichte nun wenigstens noch in eine dieser trostreichen Versicherungen umzuflunkern, die in den USA geboten werden: "Join the army and see the world!" ("Tritt in die Armee ein, und du kommst in der Welt herum!").
Was sich um die Irak-Kriegs-Soldatin Lynch herum abspielte, habe ich in deutschen Medien verfolgt und mir still vergnügt meine Gedanken darüber gemacht, wie schon über so manche Propagandalegende zuvor. Das hängt damit zusammen, dass ich vor langer Zeit in einem asiatischen Buchantiquariat die US-Felddienstvorschrift FM-33-5 vom August 1949 erwischte. Darin wird klipp und klar postuliert: "Der psychologische Krieg schließt Maßnahmen ein, mit deren Hilfe Ideen und Informationen verbreitet werden, die das Denken, die Gefühle und das Handeln des Gegners beeinflussen. Diese Maßnahmen haben zum Ziel, seine Moral zu untergraben." Und natürlich wird die eigene (Kampf-) Moral auf gleiche Weise psychologisch beeinflusst. Sprich: angehoben. -
So verarbeiteten die Medien die Heldin: einsame Mission in der Wüste, Kampf bis zum letzten Schuss, überwältigt und gefangen, schlimmes Los, wurde sie vergewaltigt?
Spätestens da begann die Geschichte so zu stinken, dass ich nur noch auf das kleinkarierte Ende gespannt war. Es kam näher, als ein nicht kontrollierter TV-Sender in Nahost Aufnahmen einer weiteren Frau aus der Gruppe um Miss Lynch veröffentlichte, einer farbigen Armee-Köchin, die lakonisch zu Protokoll gab, sie wären alle Angehörige einer Tross-Einheit gewesen, kein Kampfpersonal. Ihr Fahrzeug habe einen Unfall gehabt. Nein, kein Beschuss. Auch kein Widerstand, just Gefangennahme. Ob sie gefoltert worden sei? Nein. Vergewaltigt? Nein. Der Frau war anzusehen, dass sie nicht lügen musste.
Blieb Miss Lynch. Die ließ auf sich warten. Zunächst gab der Arzt des Krankenhauses, in das sie nach der Gefangennahme gebracht worden war, bekannt, sie sei auf dem Weg der Besserung. Ein irakischer Mediziner, der in perfektem Englisch erklärte, sie habe keine Schussverletzungen, sondern nur ein paar Knochenbrüche von dem Autounfall. Sie sei gut versorgt. Die Krankenhauskost habe sie verweigert, aus Angst, vergiftet zu werden. Er lächelte mitleidig, als er anfügte, man habe in Folie eingeschweißte amerikanische Lebensmittel für sie besorgt, die würde sie essen. Und man habe versucht, sie in einem Krankenwagen zu den amerikanischen Stellungen zu bringen, aber die Amerikaner hätten wohl Angst vor einer Bombe in dem Auto gehabt und geschossen, deshalb musste man wieder zurückfahren.
Das klang schon so gar nicht mehr nach Heldenlegende. Aber das Ende wurde noch blamabler. Einmal noch gab es den Versuch, die "Härte des Schicksals" der jungen Frau zu zeigen, da ließ man für einen TV-Spot ein paar GI's in einem düsteren Gang mit Türen herumschießen und erklärte, das sei die dramatische Befreiung von Miss Lynch. Danach war sie auf einer Krankentrage zu sehen. Ab nach Landstuhl ins Lazarett!
Boulevardblätter erschienen mit fünfspaltigen Überschriftenknallern: WURDE SIE VERGEWALTIGT? Die abgelutschte Masche, das VERGEWALTIGT bleibt im Gedächtnis hängen, das Fragezeichen nicht. Ich war gespannt auf die nächste Stufe. Wie ich die Massenpresse kenne, der es keine Bedenken verursacht, den nackten Schwangerschaftsbauch irgendeiner Szene-Tussi über die ganze Titelseite zu zeigen, war damit zu rechnen, dass als nächstes die zerfetzte, blutige Unterwäsche von Miss Lynch eine Titelseite zieren würde.
Es kam anders. Miss Lynch selbst machte der Sache ein halbherziges Ende. Kein Dementi, aber immerhin, sie spielte nicht weiter mit: Sie habe nicht schießen können, wegen Ladehemmung, ja, sie sei nicht von Schüssen verletzt gewesen, der Unfall... Knochenbrüche, ja. Krankenhaus, ja. Arztbehandlung, ja. Die Sache mit den US-Lebensmitteln in Folie stimmt, ja. Vergewaltigt worden? Da hatte sie sich zu einer Antwort bewegen lassen, die die Blamage wenigstens um eine Kleinigkeit abschwächen sollte: "Ich war ohnmächtig. Ich weiß nicht, was geschehen ist, es war alles schwarz..." (Denk, was du willst, lieber Zuschauer!)
So erbärmlich lief das, Frau Zw. Unter uns gesagt, ich war 17 Jahre alt, als ich an der Ostfront des Zweiten Weltkrieges zum ersten Mal, in der letzten Phase der Kämpfe vergewaltigte Frauen sah. Die von ihnen, die noch lebten, sprachen nicht gern darüber, aber selbstverständlich erinnerten sie sich. Und sie hatten Schmerzen. Ich hatte bis dahin den Sexualakt immer für etwas gehalten, was sich aus Liebe ergibt, aus Sympathie -. ich musste lernen, dass es da noch ganz andere Triebkräfte gibt. -
Auch für die jämmerliche Verhaltensweise von Miss Lynch sind Triebkräfte verantwortlich, die wir leicht unterschätzen: es ist z.B. nicht leicht, in einer vaterländisch gesinnten kleinen Gemeinde in den USA zu leben, nachdem man das "siegreiche" Kriegs-Establishment des Landes der Lüge überführt hat. Dann schon lieber "... es war alles schwarz ...".
Dafür sollten auch Sie, Frau Zw., Verständnis haben, selbst wenn Sie es nicht billigen. Auch eine sehr freie Welt hat innere Grenzen, die man besser nicht überschreitet. Und viel mehr ist zum Fall Lynch nicht zu sagen...