Harry Thürk:
Ja, es gibt ein Buch über Miss Lynch, geschrieben von einem amerikanischen Journalisten. Ob es übersetzt wird, kann ich nicht sagen. Ich hörte auf Kurzwelle die Rezension eines amerikanischen Kollegen. Ziemlich spöttisch machte er sich lustig darüber, dass der Autor sich der undankbaren Aufgabe widmet, eine voll daneben gegangene Heldengeschichte nun wenigstens noch in eine dieser trostreichen Versicherungen umzuflunkern, die in den USA geboten werden: "Join the army and see the world!" ("Tritt in die Armee ein, und du kommst in der Welt herum!").
Was sich um die Irak-Kriegs-Soldatin Lynch herum abspielte, habe ich in deutschen Medien verfolgt und mir still vergnügt meine Gedanken darüber gemacht, wie schon über so manche Propagandalegende zuvor.
Das hängt damit zusammen, dass ich vor langer Zeit in einem asiatischen Buchantiquariat die US-Felddienstvorschrift FM-33-5 vom August 1949 erwischte. Darin wird klipp und klar postuliert: "Der psychologische Krieg schließt Maßnahmen ein, mit deren Hilfe Ideen und Informationen verbreitet werden, die das Denken, die Gefühle und das Handeln des Gegners beeinflussen. Diese Maßnahmen haben zum Ziel, seine Moral zu untergraben." Und natürlich wird die eigene (Kampf-) Moral
auf gleiche Weise psychologisch beeinflusst. Sprich: angehoben. -
So verarbeiteten die Medien die Heldin: einsame Mission in der Wüste, Kampf bis zum letzten Schuss, überwältigt und gefangen, schlimmes Los, wurde sie vergewaltigt?
Spätestens da begann die Geschichte so zu stinken, dass ich nur noch auf das kleinkarierte Ende gespannt war. Es kam näher, als ein nicht kontrollierter TV-Sender
in Nahost Aufnahmen einer weiteren Frau aus der Gruppe um Miss Lynch veröffentlichte, einer farbigen Armee-Köchin, die lakonisch zu Protokoll gab, sie wären alle Angehörige einer Tross-Einheit gewesen, kein Kampfpersonal. Ihr Fahrzeug habe einen Unfall gehabt. Nein, kein Beschuss. Auch kein Widerstand, just Gefangennahme. Ob sie gefoltert worden sei? Nein. Vergewaltigt? Nein. Der Frau war anzusehen, dass sie nicht lügen musste.
Blieb Miss Lynch. Die ließ auf sich warten. Zunächst gab der Arzt des Krankenhauses, in das sie nach der Gefangennahme gebracht worden war, bekannt, sie sei auf dem Weg der Besserung. Ein irakischer Mediziner, der in perfektem Englisch erklärte, sie habe keine Schussverletzungen, sondern nur ein paar Knochenbrüche von dem Autounfall. Sie sei gut versorgt. Die Krankenhauskost habe sie verweigert, aus Angst, vergiftet zu werden. Er lächelte mitleidig, als er anfügte, man habe in Folie eingeschweißte amerikanische Lebensmittel für sie besorgt, die würde sie essen. Und man habe versucht, sie in einem Krankenwagen zu den amerikanischen Stellungen zu bringen, aber die Amerikaner hätten wohl Angst vor einer Bombe in dem Auto gehabt und geschossen, deshalb musste man wieder zurückfahren.
Das klang schon so gar nicht mehr nach Heldenlegende. Aber das Ende wurde noch blamabler. Einmal noch gab es den Versuch, die "Härte des Schicksals" der jungen Frau zu zeigen, da ließ man für einen TV-Spot ein paar GI's in einem düsteren Gang mit Türen herumschießen und erklärte, das sei die dramatische Befreiung von Miss Lynch. Danach war sie auf einer Krankentrage zu sehen. Ab nach Landstuhl ins Lazarett!
Boulevardblätter erschienen mit fünfspaltigen Überschriftenknallern: WURDE SIE VERGEWALTIGT? Die abgelutschte Masche, das VERGEWALTIGT bleibt im Gedächtnis hängen, das Fragezeichen nicht.
Ich war gespannt auf die nächste Stufe. Wie ich die Massenpresse kenne, der es keine Bedenken verursacht, den nackten Schwangerschaftsbauch irgendeiner Szene-Tussi über die ganze Titelseite zu zeigen, war damit zu rechnen, dass als nächstes die zerfetzte, blutige Unterwäsche von Miss Lynch eine Titelseite zieren würde.
Es kam anders. Miss Lynch selbst machte der Sache ein halbherziges Ende. Kein Dementi, aber immerhin, sie spielte nicht weiter mit: Sie habe nicht schießen können, wegen Ladehemmung, ja, sie sei nicht von Schüssen verletzt gewesen, der Unfall... Knochenbrüche, ja. Krankenhaus, ja. Arztbehandlung, ja. Die Sache mit den US-Lebensmitteln in Folie stimmt, ja. Vergewaltigt worden? Da hatte sie sich zu einer Antwort bewegen lassen, die die Blamage wenigstens um eine Kleinigkeit abschwächen sollte: "Ich war ohnmächtig. Ich weiß nicht, was geschehen ist, es war alles schwarz..." (Denk, was du willst, lieber Zuschauer!)
So erbärmlich lief das, Frau Zw. Unter uns gesagt, ich war 17 Jahre alt, als ich an der Ostfront des Zweiten Weltkrieges zum ersten Mal, in der letzten Phase der Kämpfe vergewaltigte Frauen sah. Die von ihnen, die noch lebten, sprachen nicht gern darüber, aber selbstverständlich erinnerten sie sich. Und sie hatten Schmerzen. Ich hatte bis dahin den Sexualakt immer für etwas gehalten, was sich aus Liebe ergibt, aus Sympathie -. ich musste lernen, dass es da noch ganz andere Triebkräfte gibt. -
Auch für die jämmerliche Verhaltensweise
von Miss Lynch sind Triebkräfte verantwortlich, die wir leicht unterschätzen: es ist z.B. nicht leicht, in einer vaterländisch gesinnten kleinen Gemeinde in den USA zu leben, nachdem man das "siegreiche" Kriegs-Establishment des Landes der Lüge überführt hat. Dann schon lieber "... es war alles schwarz ...".
Dafür sollten auch Sie, Frau Zw., Verständnis haben, selbst wenn Sie es nicht billigen. Auch eine sehr freie Welt hat innere Grenzen, die man besser nicht überschreitet. Und viel mehr ist zum Fall Lynch nicht zu sagen...
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