Harry Thürk:
Kriege, Herr St., sind immer voller Grausamkeiten. Das psychologische
Gift von "Feindbildern" wird jungen Menschen eingetrichtert,
bevor man sie aufeinander hetzt. Während die Ziele und die Hintermänner
im Dunkel bleiben, gehen die Seelen der Kämpfenden vor die Hunde.
-
Die fortschreitende Technisierung der Kriegshandlungen hat inzwischen
die Sicherheit der nicht kämpfenden Zivilbevölkerung zur Farce
gemacht. Und das Gefühl der Kämpfenden für das Unheil,
das sie anrichten, geht ebenfalls verloren: der Pilot, der seine Bomben
ausgeklinkt hat, denkt auf dem Heimflug nicht etwa an das Elend da unten,
er ist mit seinen Gedanken längst beim Golfspiel, das auf ihn wartet,
während auf dem Boden die Splitter seiner Bomben noch Kinder töten...
Eine ausgeklügelte Propaganda, von Reklameagenturen im Regierungsauftrag
mit ebensolcher Routine aufbereitet, wie Werbung für Limonaden oder
Waschmittel, drischt in die Hirne naiver, politisch unerfahrener Jugendlicher
das "Wissen" um "Gute und Böse", das Alibi, man
gehöre selbstverständlich zu den "Guten", und: zur
Hölle mit den "Bösen"! So kommt es zu skrupellosem
Töten. Schuldgefühl fehlt, im Gegenteil, man ist ja überzeugt,
sich Verdienste zu erwerben für die Menschheit, weil man dieses minderwertige,
verabscheuungswerte Gesocks der Gegenseite auslöscht...
Eine der widerwärtigsten Erscheinungen dieser Entwicklung, die wir
alle beobachten können, wenn wir nur wollen, ist der Verlust des
Gefühls für die Menschenwürde des jeweiligen Gegners. Er
ist Dreck. Nicht einen Schluck Wasser wert. Meist lebt er einfach bis
primitiv. Was ist das, verglichen mit uns, die wir den Mond anfliegen!
Überheblichkeit, missionarischer Eifer, Verachtung, das sind Elemente
dessen, was wir unter anderem heute im Irak mitansehen können, einem
Gefühl der Überlegenheit, das letztlich zu jedem Mittel berechtigt,
wenn es um die Bekämpfung von "Bösen" geht, die weniger
wert sind als Tiere.
Die US-Soldaten von 1945, die mithalfen, Deutschland von den Nazis zu
befreien, sind uns in guter Erinnerung. Ihre Art, auf legere Art demokratische
Soldatendisziplin zu praktizieren, die Übergriffe, wie man sie von
anderen Kriegsschauplätzen kannte, einfach ausschloss, war eine Offenbarung
für uns, die wir Disziplin nur als preußischen Drill kannten.
Seitdem ist viel Zeit vergangen. Die Vereinigten Staaten führten
etwa fünf Dutzend kleinere Kriege, und es gab den Vietnam-Krieg,
an Grausamkeiten reich wie kein anderer vorher, trotzdem aber blamabel
verloren.
Als der Kalte Krieg mit dem Ausverkauf des sozialistischen Blocks durch
Gorbatschow endete, ergriff das Management der USA die Chance, als einzige
übriggebliebene Supermacht die Welt zu beherrschen. In dem Maße,
in dem dieser imperiale Anspruch realisiert wurde, veränderte sich
auch die Doktrin der Streitkräfte. Sie wurden von der Verteidigungsaufgabe,
die ohnehin schon ziemlich verkümmert war, endgültig zur reinen
Interventionsmacht.
Ihr Bewusstsein wurde aufgeladen mit dem Gift der Überheblichkeit,
der Überlegenheit über alle anderen Völker, was Waffen
und Kriegskunst betrifft, sowie der Missachtung "unterentwickelter
Völker" und deren kultureller oder religiöser Traditionen.
Völkerrechtliche Abmachungen werden abgelehnt, alles was den USA
nutzt, ist erlaubt. Die jungen Leute, die heute als GI's in die Welt geschickt
werden, sind daran gewöhnt worden, auf Stichworte zu reagieren, deren
Bedeutung sie meist nicht kennen. Sie reagieren, ähnlich wie Pawlowsche
Hunde, auf Reize. Es genügt, laut genug "Terrorist" zu
brüllen, oder "Menschenrechte", und schon toben sie los,
um unter Anwendung der barbarischsten technischen Mittel angebliche oder
tatsächliche Gegner zu vernichten. Fragt man solche Helden etwa nach
der Menschenrechtskonvention oder deren Entstehungsgeschichte, werden
sie leicht zornig. Sie fühlen sich provoziert, denn sie haben natürlich
keine Ahnung.
Aber sie verrichten ihren "Job" mit einer kaum zu überbietenden
Skrupellosigkeit. Wir erleben heute, dass sie nicht nur verbrecherische
Befehle, wie solche zur Erpressung von Informationen mit Gewalt, widerspruchslos
ausführen, sie demonstrieren uns auch, dass es ihnen Spaß macht,
ihre wehrlosen Gegner zu demütigen, ihre Menschenwürde zu zerstören,
sie psychisch wie körperlich zu quälen, ihnen lustvoll auf jede
erdenkliche Art zu zeigen, dass sie wertloser als Dreck sind.
Das ist es, was mich an diesen Quälereien, die aus dem Irak berichtet
werden, am meisten bewegt: An der Jugend der USA, die dort agiert, ist
von ihrem Staat ein Verbrechen verübt worden, über das heute
noch kaum einer spricht - man hat ihre Seele zerstört. Was sie im
Irak, in Guantanamo, in Afghanistan und anderswo tun, auf Befehl oder
zum eigenen sadistischen Amüsement, beides ist der Beweis dafür.
Zwei wohlfeile Entschuldigungen werden gezielt verbreitet, um die weltweite
Empörung wenigstens um eine Kleinigkeit zu dämpfen. Terror,
so heißt es, ist so furchtbar, so feige, so schrecklich ungerecht
und unmenschlich, dass man bei den Bekämpfern Verständnis für
gewisse Überspitzungen, für Überreaktionen haben muss.
Und außerdem ist ja nur ein kleiner Teil der Armee an den Verfehlungen
beteiligt. Ich finde beides nicht gerade überzeugend. Und mir fiel
spontan die Bemerkung ein, die Mahatma Ghandi über Vorgänge
im Jahr 1945 gemacht hat: "In Hiroshima und in Dresden haben die
Alliierten Hitler mit Hitler bekämpft." -
Was im Irak geschah, ist Ausdruck des Höhepunktes, den die Verirrung
junger Amerikaner unter dem Einfluss einer raffinierten Hetzpropaganda
erreicht hat. Gerade meine Generation hat aus der deutschen Geschichte
einschlägige Erfahrungen. Deshalb hoffe ich persönlich, dass
sich in den USA Kräfte finden, die diese Entwicklung beenden, die
mit dem Mittel des Krieges verantwortungsvoller umgehen, sich an das Völkerrecht
halten, und die geistige Deformierung der jungen Menschen radikal einstellen.
|